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Tag 10: Oriniquia Lodge - Rio Caura

Auch wenn es in der Reisebeschreibung “nur” von 460km Fahrtstrecke die Rede ist, wir sind im Süden Venezuelas und mehr als 50 km/h im Durchschnitt werden es kaum sein. So verlassen wir unsere Lodge am Orininoco am zeitigen Morgen.

Aber bereits bei der (Militär-)Polizeikontrolle bei der Einfahrt in die nahe gelegene Stadt Puerto Ayacucho haben wir als einzige Touristen weit und breit das große Los gezogen. Es steht eine Gepäckkontrolle vom Feinsten an. Bis wir alle bis zum letzten Reiseutensil durchkontrolliert sind, ist schnell mehr als eine Stunde vergangen. Der restliche Verkehr kann ohne Kontrolle passieren. Nachdem nun auch der letzte von uns weiß, was er oder sie denn so alles im eigenen Koffer/Tasche einmal eingepackt hat, fahren wir weiter zur Haupttankstelle der 100.000 Einwohnerstadt. Busfahrer Juan traut seiner Tankanzeige nicht über den Weg und möchte sicherheitshalber in der Stadt tanken, da er nicht weiß, ob er auf der Fahrt nochmals die Möglichkeit hat zu tanken. Das Problem liegt weniger am Nichtvorhandensein von Dieseltankstellen, sondern am Nichtvorhandensein von Diesel an den Tankstellen, und dies in einem der größten Erdölproduzentenland! Aber schon in Puerto Ayacucho gibt es an der Tankstelle kein Diesel und seit Tagen heißt es, der Tankwagen kommt in einer Stunde. So machen wir uns auf dem Weg ohne nachgetankt zu haben, schauen wir einmal, wie weit uns der Weg heute führt.

Bis zur Mündung des Rio Meta in den Orinoco fahren wir auf der bei der Herfahrt schon benützten Straße wieder zurück. Bei El Burro biegen wir dann in Richtung Nordost auf die Nationalstraße 12 ab, die wir bis noch nach der Brücke über den Rio Caura nicht mehr verlassen werden. Die Straße befindet sich dabei in einem sehr unterschiedlichen Zustand. Ein paar Kilometer ist sie (fast) schlaglochfrei, dann mal wieder ein paar Meter fast asphaltfrei (wenigstens auf ein paar Meter in der Breite, alle paar Meter wechselnd). Die sicherste bzw. material- und personenschonendste Fahrweise ist dabei am Straßenrand. Das man als Busfahrer natürlich nicht jedes Schlagloch rechtzeitig entdecken kann, lässt sich beim besten Willen nicht vermeiden. Zum Teil verengt sich die Straße auch auf 4m Breite, ohne Bankett und die Seitenbegrünung ist dann oft auch noch bis zu 2m hoch.

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Hauptverkehrsstraße im Süden Venezuelas

Auch wenn es länger dauert, man kommt dennoch voran. Und wider Erwarten gibt es auch an einer Tankstelle in einem der wenigen Orte auf der Strecke Diesel für unsern Bus. Die Zeit im Ort nutzen wir auch zu einer Mittagspause mit einem Snackeinkauf am Straßenrand, das Kilo Banane für weniger als 25 Cent.

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Tankstelle zwischen Puerto Ayacucho und Rio Caura

Den ganzen Nachmittag verbringen wir auf der Straße nach Nordost bis zum Rio Caura, einen Verkehr treffen wir nur sehr gelegentlich an. Links von uns in einiger Entfernung ein unsichtbarer Rio Orinoco, rechts von uns die Ausläufer des Schildes bzw. Hochlandes von Guayana.

Nach einem kurzen Halt an der Brücke über dem Rio Caura treffen wir an einer Tankstelle mit einem Indianerinformationszentrum ein. Da wir ja wieder an einer “Autobahnraststätte” angelangt sind, ist die Benutzung der Örtlichkeiten für die kleinen und großen Geschäfte mal wieder nicht kostenlos. Wobei die Benutzungsgebühr eigentlich nur für die Kosten der “Klowache” sein kann, eine Person die aufpasst, dass nicht versehentlich eine zweite Person gleichzeitig die Örtlichkeit benützt. Denn die Qualität der Örtlichkeit ist schlichtweg nicht vorhanden. Eine Klobrille ist Fehlanzeige, zur Wasserspülung gibt es einen insektenverseuchten Wasserbottich und jeder darf selbst schöpfen.

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Brücke über den Rio Caura in der Nähe von Marip

Nach einer kleinen Stärkung fahren wir weiter und biegen anschließend nach Süden in Richtung des Ortes Las Trincheras del Caura ab.  Waren es bis jetzt am heutigen Tage eher Gebüsch bewachsene Savannengebiete die wir durchfahren haben, so sind wir in den nächsten 50 Kilometern auf einer Buschpiste unterwegs. Erst bei der Überfahrt übermorgen werden wir den Zustand der Piste genauer beurteilen können, denn heute wird es schon dunkel und es beginnt zu regnen.

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50 km Hauptverkehrsstraße zur Lodge am Rio Caura (bei Tageslicht und trockenen Zustand)

Nach einer längeren Fahrt durch dichten Dschungel endet fast schon abrupt die Straße an einem Abhang, wir sind an unserer heutigen Lodge in der Nähe des Ortes Las Trincheras del Caura angekommen. Die Lodge selbst befindet sich unmittelbar am Rio Caura, wir befinden uns nun abseits der Zivilisation (wenn auch nur ein klein bisschen).

Baumhaus

Meine Hütte mit vorgelagertem Baumhaus und angrenzendem Dschungel

Mit Taschenlampen bewaffnet geht es auf Zimmer- bzw. Häuschensuche. Meine heutige Herberge kommt mir irgendwie bekannt vor, irgendwie hat sie den gleichen Architekten als die Hütte am Orinoco. Im Anschluß daran gibt es heute das Abendessen unter freien Himmel, begleitet von einem andauernden sich über den ganzen Horizont erstreckenden Wetterleuchten von Süden her aus dem Urwald heraus.

Nachts sind es eigentlich nur 2 verschiedene Geräusche, die einem vom Schlafen abhalten können: Die Gespräche der Brüllaffen aus dem unmittelbar angrenzenden Urwald oder das Patrouillenboot der Drogen- und/oder Militärpolizei, welches schon aus vielen Kilometern Entfernung zu hören ist.

Tag 11: Rio Caura

Den heutigen Tag wollen wir für einen Bootsausflug in die Tiefen des Rio Caura, also mitten hinein in den Urwald  nutzen. Zunächst geht es stromaufwärts auf dem Rio Caura zur Kontrollstelle der Polizei am Flußufer. Ohne Ab- und späterer Rückmeldung würde es später viel Ärger geben und dies muss ja nicht unbedingt sein.

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Morgendlicher Ausblick auf den Rio Caura von der Hüttenterrasse

Gut 2 Stunden sind wir z.T. zwischen im Flussbett gelegenen Felsenlandschaften unterwegs, bis wir am Ufer anlegen, von wo wir eine Wanderung durch den Urwald mit einheimischen Führern unternehmen wollen. Kaum sind wir am Ufer angekommen, stehen auch schon die ersten Indianerkinder in der unmittelbaren Nähe und beobachten uns. Da einer unserer Bootsmänner auch der Hauptguide sein wird, bieten sich einer der Jugendlichen als “Hilfsguide an”.

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Flußlandschaft am Rio Caura

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Dorfbewohner am Ufer

Kaum 100m vom Ufer entfernt, geschützt von der Uferbewaldung, sind auch die ersten Wohnhütten zu erkennen. Die Hängematten werden auch um 11 Uhr am Morgen noch rege vom starken Geschlecht der Ureinwohner zur Erholung benützt. Die Temperaturen im Schatten sind einfach erträglicher als die Temperaturen außerhalb davon in den oberen Dreißigern bei zusätzlich noch sehr hohen Luftfeuchtigkeitswerten.

Wir wollen zu einem etwa 2-3 Kilometer entfernten Aussichtspunkt mitten im Dschungel wandern. Der Begriff Dschungel gilt üblicherweise als unverniedlichte Bezeichnung für viele Formen von tropischen Regenwäldern. Wieviel Menschen weniger aus den „entwickelten“ Ländern würden sich für einen Dschungel als für die „Kuschelfaktorbezeichnung“ Regenwald einsetzen? Der Begriff Urwald bezeichnet einen Wald in seiner ursprünglichen Form, ein Primärregenwald ist somit ein ursprünglicher Dschungel ohne nennenswerte Eingriffe des Menschen.

Kaum haben wir die Lichtung des Dorfes verlassen, nimmt die Vegetation schon deutlich zu, auch wenn sich neben dem Pfad noch vereinzelt kleine Felder mit Pflanzen für den täglichen Bedarf befinden. Aber je weiter wir wandern, desto dichter wird die Vegetation, es ist aber immer noch ein Fortkommen ohne Machete problemlos möglich. Ein Pfad ist aber beim besten Willen nicht mehr auszumachen. Einzig unser Guide macht etwa alle 10m kleine Markierungen an Pflanzen oder Bäumen. Das Laubwerk der Bäume lässt zwar noch Sonnenstrahlen durch, aber in welcher Richtung die Sonne steht, ist nicht mehr auszumachen. Da die Sonne hier etwa 10 Grad nördlich des Äquators ziemlich senkrecht steht und das Laubwerk einen 360 Grad Schattenwurf erzeugt, fällt der Stand der Sonne als Orientierungshilfe flach. Auch wenn wir uns nur einen winzigen Schneckensprung vom letzten Außenposten der Zivilisation befinden, ohne fremde Hilfe wäre jetzt keine Orientierung für uns unerfahrene Touris möglich. Das einzige was noch zweifelsfrei auszumachen ist, ist die Lage, wo oben und unten ist.

Auch der Waldboden ist interessant, der Boden ist vom Aussehen und Konsistenz eine Mischung aus Sandboden und wasserstauender Lettenschicht, humose Anteile sind eigentlich nicht erkennbar. Dies ist eigentlich auch nicht verwunderlich, denn wie soll bei den Unmengen an Regen auch ein nährstoffreicher Boden erhalten bleiben. Der Nährstoffbereich im Dschungel liegt oberhalb der Bodenschicht, in den abgestorbenen Pflanzen. Dauert es in mitteleuropäischen Breiten viele Jahre bis ein umgefallener Baum von der Natur in seine Einzelteile zerlegt worden ist, findet man hier nach 1-2 Jahren nichts mehr von einem Baum, die Natur hat ihn sich wieder zurückerobert.

Da ja nun im Boden keine Nährstoffe zu erwarten sind, haben viele Pflanzen und vor allem Bäume oberirdische Luftwurzeln, die unterirdischen dienen nur als Befestigungsanker. Je fester der Boden ist, desto höher können dann die Bäume wachsen. Hier in unmittelbarer Nähe zum großen Rio Caura werden die Bäume kaum 20m hoch, haben aber nach 20-30 Jahren bereits einen Stammdurchmesser von mehr als einem Meter!

Aufgrund von umgefallenen Bäumen ändern sich alle paar Wochen der Weg zum Aussichtspunkt, eine feste Pfadmarkierung wäre also sinnlos. Manchmal müssen wir auch ein kurzfristig neu entstandenem Dschungelmoor umgehen oder umgestürzte Bäume als Behelfsbrücken benützen. Manch einer von uns wird sich sicherlich schon denken, warum hat man Trekkingstöcke erfunden und warum muss man sie gerade hier mitnehmen! Bei heißem Waschküchenwetter geht es immer weiter, wobei ich wirklich nicht sagen kann, ob wir uns im Kreis bewegen würden. Es gibt zwar alle 100 bis 200m markante Stellen, bei einer Dschungelsichtweite von oftmals unter 20 Metern und fast identischer Landschaft 360 Grad im Umkreis auf 20 Meter Entfernung, ist eine Orientierung für uns Unerfahrene nicht möglich. Erst die letzte halbe Stunde auf dem Weg zum Aussichtspunkt wird es hügelig nach oben, natürlich nur in der Dschungeldirettissima (undefiniertes Zickzack und Kreisen). Schweißgebadet, wahrscheinlich mit mehr Schweiß auf der Haut als viele Menschen beim Duschen üblicherweise Wasser benötigen, erreichen wir nach 2,5 Stunden den auf einem Felsen gelegenen Aussichtspunkt, eigentlich nur ein Ausguck von 1qm an erhöhter Stelle. Außer Dschungel und vereinzelt den Flußlauf des Rio Caura ist nichts zu erkennen.

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Aussichtspunkt mitten im Dschungel

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Blätterdach

Der Rückweg zur Bootsanlegestelle zeigt uns, dass die Aussage des „Überlebensexperten“ Bear Grylls in der Sendereihe „Ausgesetzt in der Wildnis“ doch seine Richtigkeit hat: Im Dschungel dauert der Abstieg wesentlich länger als der Aufstieg. Schuld daran ist nicht nur der oft glitschige Boden sondern v.a. die Luftwurzeln. Es dauert einfach seine Zeit bei jedem Schritt über diese Wurzeln herauszufinden, welche Wurzel das eigene Körpergewicht trägt und welche nicht. Bergauf ist dies kaum ein Problem, da man schlimmstenfalls 20cm einsinkt, bergab ist ein Sturz auf den Hosenboden noch die harmloseste Auswirkung eines falschen Tritts.

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Oriniquia Lodge vom Rio Caura aus

Aber alle erreichen unbeschadet wieder das Dorf und die Anlegestelle. Zu einem Erfrischungsstopp mit Zwischenmahlzeit geht es per Boot in ein in der Nähe gelegenes ehemaliges Dschungelcamp der einheimischen Trekkingagentur. Vor allem imposant ist das Hauptindianerzelt mit betoniertem Boden, offenen Fronten bis 3m Höhe, einem Durchmesser von geschätzten 20m und sicherlich fast 30m Höhe. Als erstes füllt jeder die gänzlich entleerten körperinternen Wasserreservoirs um danach festzustellen, dass trotz dem Genuss von mehr als 40 Litern Tee für weniger als 20 Personen das Durstgefühl sich nicht verändert hat.

Nach dieser Stärkung machen wir uns auf den gemütlichen Rückweg per Boot zur Lodge. Zwischendurch halten wir oft aufgrund von um das Boot und in der Nähe davon schwimmenden Flussdelphinen Zwischenstopps.

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Achtbeiniger Untermieter, Vogelspinne

Nach der Wiederanmeldung beim Militär erreichen wir mit Beginn der Dämmerung wieder unser Lodgegelände.

Tag 12: Rio Caura - Ciudad Bolivar

Leider müssen wir heute dieses wunderschöne Kleinod am Rio Caura wieder verlassen, d.h. Abschied nehmen von Zimmeruntermietern wie einer handtellergroßen Vogelspinne oder Fledermäusen. Bei Tageslicht sieht man sie zwar nicht, aber bei Nacht. Zum Glück ist die Urwaldpiste trocken, sodass wir nach gut einer Stunde ohne Probleme wieder befestigten Straßenbelag erreichen. Weiterfahren wollen wir heute bis Ciudad Bolivar am Orinoco. Unseren Mittagsstopp legen wir an einer venezolanischen Variante einer Raststätte ein. Am offenen Grill hängen die ganzen Fleischspieße und werden je nach Bedarf abgeschnitten.

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Raststätte im  Süden Venezuelas in Richtung Ciudad Bolivar

Schon aus einiger Entfernung kündigt sich die 300.000 Einwohner große Stadt an, erkennbar an der Puente Angostura, der inzwischen nur noch vorletzten Brücke über den Orinoco vor seiner Mündung in den Atlantik. Mit einer Öffnung von über 700m zwischen Ihren beiden über 120m hohen Pylonen stellt die 1967 erbaute Brücke schon eine imposante Erscheinung dar. Sie ist an einer der engsten Stellen des Orinico im weiten Umkreis erbaut worden. Obwohl sich die Stadt Ciudad Bolivar südlich des Orinoco befindet, darf natürlich eine Fahrt über die Brücke nicht fehlen.

Im Anschluß daran führt uns der Weg zu unserem Hotel, der Posada Casa Grande, einem kleinen Augenschmaus in der sonst oft schon verfallenen erweiterten Altstadt von Ciudad Bolivar. Die Stadt selbst kann nur noch von Ihrer ruhmreichen Vergangenheit träumen, auch wenn Teile der Altstadt wieder renoviert wurden, der Rest ist oft abbruchreif. Im Jahre 1818 wurde die damalige Stadt Nueva Guayana de la Angostura del Orinoco („die neue Stadt an der Engstelle des Orinoco“) vom südamerikanischen Freiheitskämpfer Simon Bolivar zur provisorischen Hauptstadt der Provinz ernannt. Im Jahre 1819 wurde von ihm hier die Republik „Großkolumbien“ mit den Staaten Venezuela, Kolumbien, Panama und Ecuador ausgerufen.

Ein Rundgang durch die Altstadt darf natürlich nicht fehlen, auch wenn man manchmal nicht erkennt was älter ist, die verfallenen Häuser neben den wieder hergerichteten Kolonialhäuser oder die Autos. Zum Sonnenuntergang unternehmen wir einen Spaziergang rund um den Aussichtspunkt Mirador Angostura.

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Ciudad Bolivar - Plaza Bolivar

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Ciudad Bolivar - restaurierte Kolonialhäuser

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Ciudad Bolivar - Downtown

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Sonnenuntergang in Ciudad Bolivar

Unser Abendessen nehmen wir im Hotel ein, eines der wenigen Restaurants in Altstadtnähe. Anschließend heißt es das Gepäck umpacken für die in den nächsten Tagen folgende Einbaumexpedition in die Welt der Tafelberge. Da wir dazu am nächsten Tag schon sehr zeitig starten werden, ist heute schon früh die Nachtruhe angesagt.

 

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