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Tag 10: Kothe - Tangnag Es geschehen noch Zeichen und Wunder! Am Morgen schaue ich aus dem Fenster und glaube meinen Augen nicht! Da ist ein Berg zu sehen, schneebedeckt und keine Wolke. Und zu allem Überfluss ist es auch noch der Mera Peak. Da geht es also noch hinauf. Kothe und der Mera Peak Übernacht hat es nicht gefroren, es ist aber im Schatten noch eisig kalt. Die heutige Etappe führt ins 750 Höhenmeter weiter oben im Inkhu Khola Tal flussaufwärts gelegene Tangnag. Die Route dorthin verläuft meistens human ansteigend im oder direkt neben dem Flusstal des Inkhu Khola. Nebelschwaden im Tal Wir starten heute sehr zeitig und sind zu Beginn ganz alleine auf der Strecke. Das Flusstal liegt noch komplett im Schatten und neblig ist es inzwischen auch schon wieder etwas. Aber je länger wir wandern, desto mehr zieht sich der Nebel zurück und es kommt ein wunderschöner weißblauer Himmel zum Vorschein. Auch das Flusstal selbst bietet im Sonnenlicht in seiner Farbenpracht besten „Indian Summer“. Zunächst hat es den Anschein, wir laufen direkt auf den Mera Peak zu, dann macht das Tal aber eine Biegung nach links und direkt vor uns kommt die Pyramide des 6770m hohen Kyashar, auch Tangtse oder Tangnagtse genannt, zum Vorschein. Den Rest des Tages werden wir diesen markanten Berg immer vor unserer Nase haben. Kyashar (Tangtse) 6770m Blick zurück in Richtung Kothe Für unseren Pausenort auf etwa der halben Strecke hat jede Karte seinen eigenen Namen, in manchen Karten würden wir gar nicht im Flusstal laufen. Da es kein Ortsschild gibt, bleibt die wirkliche Bezeichnung des auf 4000m ü.NN liegenden Teehauses im Dunkeln, in der Karte von climping-map steht “Shaure”. Auch wenn wir noch etwas zeitig dran sind, wir beschließen hier unsere Mittagsrast zu machen, da der Ort ziemlich in der Mitte der heutigen Strecke liegt. Bis zum Essen warte ich bei herrlichem Sonnenschein etwas außerhalb des Teehauses. Und wie fast nicht anders zu erwarten, treffen unsere „Und täglich grüßt das Murmeltier“-Gruppe hier ein. Jetzt kommen wir auch intensiver in das Gespräch. Ein Teil der Gruppe will nur den Mera Peak machen und manche dann weiter über den fast 5800m hohen Ampha Laptsa Pass zum Island Peak und über die Everestautobahn zurück nach Lukla. Da sie wie schon in den Vortagen vom Verhalten immer auf „Drehzahl“ sind, gebe ich ihnen den Hinweis, dass man auch Zeit zum Ankommen braucht, nicht nur zum Unterwegs sein. Man sagt ja uns Deutschen nach, dass wir überkorrekt und auch manchmal pedant seien, aber was sich eine japanische Gruppe im Teehaus leistet, toppt wirklich alles. Aus Pietätsgründen habe ich meine am Tisch liegende Actionkamera nicht eingeschaltet. Ich habe mich die meiste Zeit beim Zuschauen zu deren Show darauf konzentrieren müssen, einen exzessiven Lachkrampf zu verhindern. Einige ältere japanische Herren (oder waren es doch Chinesen) Minimum im deutschen Altersteilzeitleralter haben am Nachbartisch Platz genommen. Pedantisch, fast schon schieblehrengenau, deckt ein Küchenträger den Tisch. Dann kommt er mit einem heißen Schnellkochtopf und liegt Essstäbchen auf den Tisch. Alles natürlich zentimetergenau von den Herren fotografiert und in einen mehrere Zentimeter dicken Schnellhefter notiert. Der nächste Gang ist die Suppe, die für jeden exakt auf den Tisch gestellt wird. Dann beginnt die Arbeitsteilung: der Erste fotografiert jeden Suppenteller, der Zweite grämt eine digitale Küchenwaage aus dem Rucksack und jede Suppe wird grammgenau gewogen. Der Dritte notiert alles in den Schnellhefter in eine Tabelle. Beim Hauptgang und der Nachspeise wiederholt sich das ganze Schauspiel wieder. Fast könnte man meinen, sie sind Hoteltester aus dem deutschen Privatfernsehen. Nach dieser lustigen Abwechslung und dem Genießen des eigenen Mittagessens (Tütensuppe und Vegetarian Roll) machen wir uns auf dem Weiterweg. Die Wegbeschaffenheit verändert sich zunächst nur unwesentlich. Erst jetzt kommt uns die erste Gruppe an diesem Tag entgegen. Im Gespräch mit deren Tourguide erfahre ich, Nir Kumar und er sind so fair und führen ihr Gespräch in englischer Sprache, dass die Gruppe auf dem Rückweg vom Mera Peak ist. Nur einer aus der Gruppe hat den Gipfel am Mera Center erreicht, es war dort oben zu viel tiefer Neuschnee aus den Niederschlägen der letzten Tage. Bereits bei der heutigen Mittagsrast hatte mir der auch etwas deutsch sprechende Guide unserer „Murmeltier“-Gruppe darauf aufmerksam gemacht, dass die aktuelle Schönwetterlage nur bis zum 16.Oktober halten soll und es dann wieder schlechter werden soll. Durch unseren eingesparten Tag werden wir nach Plan genau am 16.Oktober die Gipfeletappe zum Mera Center in Angriff nehmen. Hat da jemand im Hintergrund nachgeholfen? Nach gut der halben „Nachmittagsstrecke“ ist unmittelbar neben der Route ein kleines Kloster zu sehen. Hier könnte man sich einen Segen für die Tour abholen. Da ich aus einem anderen religiösen Kulturkreis stamme, habe ich dazu keinen Bedarf. Bei der Klosterhütte am Felsen Blick zurück ins Tal, im Vordergrund zwei Kartoffelkörbe Kartoffelkörbe Nach gut einer weiteren Stunde erreichen wir gegen 13:30 Uhr den Ort Tangnag. Wir quartieren uns gleich in die erste Lodge ein und sind zunächst dort noch die einzigen Gäste. Erst deutlich später kommen noch zusätzliche Gäste, eine dreiköpfige britische Zelttrekgruppe und ein rückwandernder Einzeltrekker. Den Rest des Nachmittags nutze ich zunächst für eine heiße Dusche, sprich: ein 10l Eimer lauwarmes Wasser, 40% vom Inhalt in einem 1x1m Bretterverhau über den Körper gegossen, dann duschgeliert, wieder ein Teil des Wassers zum Entseifen benutzt und die letzten beiden Liter für das Wäschewaschen aufgebraucht. Zu einem Nachmittagstee geht es in die Küche der Lodge, wo Nir Kumar sitzt und mich einlädt. Heute verzichte ich auf den mir kostenlos angebotenen Buttertee, eine Mischung aus Tee, Yakbutter und Salz. Es ist schon irgendwie interessant: alles was in den Lodges außerhalb der Mahlzeiten meinem Guide Nir Kumar an Getränken kostenfrei angeboten wird, erhalte auch ich fast wie selbstverständlich umsonst. Der Grund dafür bleibt mir auch den Rest der Reise verborgen, ich schau doch eher vollge- und/oder verfressen als mitleidsvoll aus. Die meisten anderen Trekker müssen dafür immer bezahlen. Dass wir dann zu den Mahlzeiten in der Lodge eine vernünftige Zeche machen, versteht sich aber von selbst. Sonnenuntergang am 6249m hohen Mera West Peak Im Essensraum der Lodge Mit dem Einheizen am Ofen im Essensraum heut Abend meint es der Besitzer etwas zu gut, rotglühend muss der Ofen nicht unbedingt sein. Man kann es mit dem Einheizen auch übertreiben Da wir Morgen in Tangnag zwecks der Akklimatisation bleiben werden, kann ich heute Nacht etwas länger schlafen und muss morgen früh nicht packen. Erstmals auf dieser Reise benütze ich meinen warmen Schlafsack, meine leichte Daunendecke hat in den nächsten Tagen ein bisschen Freizeit. Tagesdaten: Start: Kothe (3582m ü.NN) - 7:30 Uhr, Ziel: Tangnag (4279m ü.NN) - 13:30 Uhr - PO2 92% Tag 11: Tangnag Akklimatisierung Heute wollen wir in Tangnag bleiben und den Tag zur Akklimatisierung und zur Erholung nutzen. Gut geschlafen habe ich die letzte Nacht wirklich nicht, die Matratze war etwas sehr weich. Aber dafür passen die sonstigen gesundheitlichen Randbedingungen, gerade was die Höhenverträglichkeit betrifft. Die Sauerstoffsättigung ist auf 4300m über 90%, der Ruhepuls irgendwo bei 60-70, kein Kopfweh oder Appetitlosigkeit, also alles im grünen Bereich. Auch der Schnupfen ist schon längst verschwunden. Tangnag im Morgenfrost Heute wollen wir es ruhig angehen lassen, am Vormittag steht nur eine gemütliche Wanderung zu einem kleineren Hausberg von Tangnag an. Dieser hätte aber bis zu seinem Gipfel auch schon wieder 5028m ü.NN. Erstmals hat es heute Nacht richtig gefroren, alles ist mit Eis überzuckert, gerade hier im Schatten. Der Mera Peak im Osten verhindert erfolgreich, dass sich die Sonnenstrahlen zu früh in den Ort Tangnag verirren könnten. Nach dem Frühstück machen wir uns auf dem Weg zum westlich von Tangnag gelegenen „Hügel“. Die Wetterbedingungen sind sehr gut, sprich Himmel weiß blau. Ich habe mit Nir Kumar ausgemacht, dass wir einfach mal 1,5-2 Stunden gemütlich den Hügel rauflaufen, dann die Aussicht genießen und dann wieder gemütlich in unsere Lodge zum Mittagessen zurücktrotten. Tangnag selber liegt noch im tiefsten Bergschatten, der Aussichtshügel hat aber schon strahlende Sonne. Im Unterschied zu den Vortagen, geht Nir Kumar heute vor mir und ich folge ihm, sonst war es bisher immer umgekehrt. Tangnag im Bergschatten des Mera, im Hintergrund der Mera Gletscher Nir Kumar legt ein sehr gemächliches Tempo vor, am Kilimanjaro würde man sagen, es wäre „pole pole“. Zunächst müssen wir noch eine Schotterebene queren, anschließend geht es steil den Hang hinauf. Je weiter wir nach oben gelangen, desto grandioser wird die Aussicht. Sei es der ausgelaufene Sabai Tsho See, sei es unser morgiges Tagesziel Khare oder auch die einsehbare Aufstiegsroute auf dem zum Mera Peak führenden Mera Gletscher. Auf gut 4600m ü.NN angekommen, machen wir an einer windgeschützten Stelle unsere geplante Rast. In der Sonne ohne Wind ist es angenehm warm. Neben uns die unverbaubare Südhanglage des Kyashar, wobei das ist keine Südhanglage mehr, sondern wegen seiner Form eher eine Mischung aus XXL -Cheops-Pyramide und XXL-Matterhorn, keine zwei Kilometer von uns entfernt. Ein Bildverschandeler vor dem Kyashar Gegenüber von uns ist auch der untere Teil des Mera Gletschers zu sehen. Nir Kumar erklärt mir den Weg zum Gletscher und den Aufstieg zum Gletscher. Erst jetzt bemerke ich, dass ich den Einstieg in den Gletscher an der falschen Stelle vermutet hatte. Zu schnell denken ist nicht immer von Vorteil. Er erzählt mir auch etwas über den Ablauf am Berg. Für den Berg braucht es einen zugelassenen Climbing-Guide, diesen erhalte ich dann im Ort Khare. Nir Kumar wird dort in der Zwischenzeit Pause haben. Ich verwende den Begriff Climbing Guide und nicht den Begriff Climbing Sherpa, da die kleine Volksgruppe der Sherpa nur in einem abgegrenzten Bereich des oberen Khumbu lebt. Die allermeisten Träger und Guides in Nepal, auch in der Everestregion, sind keine Sherpas. Bei den „Sherpa“ ist es ähnlich wie bei der „Flex“: Nur die wenigsten Winkelschleifer sind von der Firma „Flex“. Tangnag im Tal, der Sabai Tsho in Bildmitte, rechts oben der Mera Gletscher Ich frage Nir Kumar: »Warum machst Du keinen Climbing Guide mehr? Du warst doch selbst schon oft auf dem Mera Peak und auch schon in Hochlagern am Dhaulagiri« Er antwortet: »Meine Frau …« Im weiteren Verlauf des Gesprächs stellen wir fest, dass wir uns 2013 auf meiner Everestrunde doch schon in Machermo über den Weg gelaufen sind. Sein und mein „Täterwissen“ lassen sich einfach nicht verleugnen. Nach geraumer Zeit sehen wir, dass sich vom Tal her eine kleine Gruppe auf den Weg zu unserem Aussichtsplatz macht, das können nur unsere britischen Kameraden aus der Lodge sein. Wir treten langsam den Rückzug an und treffen auf die Gruppe. Nach einem obligatorischen Smalltalk gehen wir weiter und erreichen noch vor 11 Uhr wieder unsere Lodge. Außer Essen ist jetzt für den Rest des Tages Faulenzen angesagt, endlich einmal genügend Zeit zu einen kleinen Mittagsnickerchen, zum mentalen Ankommen und einfach zum Genießen der Gesamtsituation. Ein früher üblicher Besuch des Sabai Tsho See erübrigt sich inzwischen, da er heutzutage nur noch ganz klein ist und sich sowie schon fast unmittelbar neben der morgigen Aufstiegsroute befindet. Am späteren Nachmittag machen dann unsere britischen Kameraden ihre Kleider- und Ausrüstungsprobe. Die Schuhe werden probiert, interessanterweise haben fast alle in Kathmandu die Schuhe gemietet. Es sind Scarpa Vega, der gleiche Typ wie meine Schuhe. Nur sind ihre Schuhe sehr viel älter und statt dem High-Altitude-Innenschuh haben sie „nur“ einen Tiefland-Innenschuh. Es stellt sich heraus, dass die Briten auch nicht mehr bergsteigerische Erfahrung haben wie Meinereiner. Ihrer britischen Zusatzbergführerin neben den einheimischen Bergführern muss ich an einem späteren Tag oben am Berg auch noch beibringen, dass sie den Mount Everest mit dem Makalu verwechselt. Auch treffe ich Rabin wieder, ich hatte ihn bis dato heute noch nicht gesehen. Er hatte heute zweimal(!) Lebensmittel in das weiter oben gelegene Khare transportiert und sich eine Zusatzeinnahme gesichert. Den Abend verbringe ich dann wieder in geselliger Runde mit den Briten und all den Trägern und Guides in geselliger Runde im heute normalwarm beheizten Essensraum. Tagesdaten: PO2 92% Tag 12: Tangnag - Khare Khare, unser heutiges Tagesziel, liegt nochmals gut 600 Höhenmeter oberhalb von Tangnag. Zeitig zum Mittagessen sollten wir dort oben sein. Wir queren zunächst das Inkhu Khola Tal und gewinnen Zug um Zug hinter einer Schuttmoräne an Höhe. Vor uns ist eine Gruppe sehr langsam unterwegs. Blick zurück nach Tangnag im Hintergrund der Kusum Kanguru (6370m) Jetzt bin ich ja selber in diesen Höhen eher einer von der langsameren Sorte, aber so extrem langsam wie diese Gruppe bin ich nun auch nicht. Im Altbayerischen würde man sagen: „denen kann man ja beim Laufen die Schuhe doppeln“. Gemeint ist hier im Ursprung, dass man jemanden während des Gehens die Schlaufe an den Schnürsenkeln binden kann und diese auch noch doppelt verknoten. In meiner Heimatregion meint man hier eher: da ist jemand so langsam unterwegs, dass man ihm beim Gehen die Schuhsohle wechseln und die neue Sohle dann „aufdoppeln“ (<=> kleben) kann. Die Gruppe vor uns, übrigens die einzige Gruppe, die wir heute beim Aufstieg sehen, stellt sich als japanische Rentnergang heraus. Die oder der Jüngste sicherlich schon erfolgreich den 60ern entflohen. Kyashar (6770m) mit Verbindungssteg zum Kangtega, hinter der Moräne ist der Sabai Tsho See Kusum Kanguru (6370m) und Kyashar (6770m) Da heute mehr oder weniger nur noch ein blauer Himmel vorherrscht, gibt es die umliegende Bergwelt nur noch zum Genießen. Auch ist jetzt ein großer Teil des Hängegletschers am Mera Peak erkennbar. Ebenso erkennbar ist der 6476m hohe Mera North Peak, die höchste Spitze auf dem Mera. Der North Peak verdeckt aber von hier unser „Traumziel“, den 17m niedrigeren Mera Center. Mera North Peak 6476m (der Mittlere vom “Dreizack”) Hat man als Trekker schon allergrößten Respekt von den Trageleistungen der Träger in Nepal, wie kann man dann die Leistungen beim Ausrüstungstransport durch weibliche Träger einordnen? Sie stehen ihren männlichen Kollegen in den getragenen Lasten in nichts nach, hier auf beinahe 5000m Höhe. Schwer tragende weibliche Träger In Dig Kharka auf 4621m steht eine Hütte vor einem Steilanstieg in Richtung Khare. Von nun an geht es noch einmal sehr steil nach oben und auf einer nochmaligen „Hochebene“ weiter, bis am Hang der Ort Khare zum Vorschein kommt. Auf den Weg dorthin kommen uns drei bekannte Gesichter entgegen. Es ist der Guide von der „Murmeltier“-Gruppe mit zwei Mitgliedern der Gruppe im Schlepptau. Schon bei den letzten Zusammentreffen hatte ich bei beiden einen starken Husten bemerkt. Sie kehren um und wollen über Lukla nach Namche, um dort dann wieder den Rest der Gruppe zu treffen. Sie sind in Tangnag gleich am nächsten Tag ohne Akklimatisierung weiter nach Khare. Khare auf 4899m ü.NN wird in letzter Zeit immer weiter ausgebaut. War es früher nur aus mehreren Steinschuppen als Wetterschutz bestanden, so werden diese Steingebäude inzwischen abgerissen und beim Bau von neuen Lodges benützt. Inzwischen kann in Khare auch ein Großteil der Bergausrüstung gemietet werden und der Trek ist bis Khare somit schon als reiner Lodgetrek möglich. Außen an den Lodges sind Satellitenschüsseln erkennbar, diese werden für WiFi benützt. Handyempfang gibt es hier nicht, aber Internet, kaufbar mit Everestlink -Prepaidkarten. Als wir an unserer Lodge ankommen, stellt Nir Kumar mir den Lodgebesitzer Tenji (so habe ich den Namen verstanden) als meinen Climbing Guide vor. Er ist gerade zusammen mit anderen Nepali mit dem Prüfen von Bergsteigerutensilien beschäftigt. Nir Kumar schwärmt, dass ich mit ihm einen sehr erfahrenen Bergführer erwischt habe und sagt: »Der bringt auch deine Gewichtsklasse zum Gipfel. Der war schon mehr als 100-mal am Mera Peak oben! Und Rabin war auch schon mehrmals mit ihm unterwegs!« In den Tagen zuvor habe ich schon öfters mit Nir Kumar und Rabin über den Aufstieg gesprochen. Gerade bei Rabin war tagtäglich die immense Vorfreude auf den Mera Peak zu spüren, der macht sich eben gut in seinem Lebenslauf, auch wenn er dort schon Wiederholungstäter ist. Der Aufstieg erfolgt zu dritt: Ich, der Climbing Guide und Rabin. Übernachtet wird im Zelt und der Guide wird auch das Essen bereiten. Immer wieder hatte Nir Kumar auch gesagt: »Deine Spiegelreflexkamera ist viel zu schwer, die nimmst Du nicht mit auf den Gipfel!« Geantwortet habe ich ihn immer: »Die Kamera geht mit rauf! Wenns an der scheitert, dann bin ich es auch nicht wert, am Gipfel oben zu stehen!« Was aber unbedingt mit soll, da sind wir beide uns einig: mein Akubrahut. Nir Kumar sagt dies auch sofort zu Tenji, damit ein Gipfelfoto von mir und dem Hut nicht vergessen wird. Am Idiotenhügel hinter der Lodge, sprich dem „Testhang“ für die Bergausrüstung, sehe ich bekannte Gesichter: „Und täglich …“ Lodge in Khare Zum Mittagessen geht es in den sehr hellen Essenraum der Lodge mit einer wunderbaren Aussicht runter ins Tal und zum Mera Peak. Beim Kreuzworträtsel lösen auf das Mittagessen wartend, vernehme ich ein Geräusch, dass sich nach einen herannahenden Hubschrauber anhört. Der Hubschrauber fliegt in Richtung des anderen „Ortsende“ von Khare und schwebt zunächst etwas oberhalb einer Schuttmoräne. Dort wird er wahrscheinlich den Einfluss der Auf- und Scherwinde testen, bevor er einen 180°-Dreh macht, die Front des Hubschraubers also talseitig ausgerichtet ist, und dann langsam auf die 50m tiefer liegende ebene Landeplattform absinkt. Nach der Landung werden bei laufenden Rotoren viele Kisten aus dem Hubschrauber ausgeladen und anschließend wird eine Frau, die von mehreren Helfern geführt wird, in den Hubschrauber eingestiegen. Es folgt das Einladen von Gepäck und ich glaube, dass dann nochmals Personen zugestiegen sind. Sofort startet der Hubschrauber und fliegt geradewegs talwärts in Richtung Lukla. Das Mittagessen ist wohlschmeckend. Nach meinem Mittagessen trifft die japanische Gruppe vor der Lodge ein und die Mitglieder beziehen die aufgebauten Zelte, mehr als zwei Stunden nach mir. Zwei von ihnen werden heute ein Zimmer in der Lodge nehmen. Was ich jetzt noch nicht weiß: Ich werde die Nacht inmitten des Motorsägenprüfstands in einem Holzfällercamp verbringen. Wenn ich nur wüsste, ob ich genauso laut schnarchen könnte? Der Rest des Nachmittags ist heute ohne Programm. Im Laufe des Nachmittags stellt Nir Kumar mir ohne Vorwarnung und Begründung eine andere Person als mein Guide für den Aufstieg vor. Als er meine sehr zweifelnden Gesichtszüge bemerkt, sagt er das „BL auch ein Bergführer sei“. BL ist im Folgenden die Abkürzung für „Bergführer Leichtfuß“. Hatte ich bei Tenji sofort den Eindruck, dass er der richtige Bergführer für diese Aufgabe ist, habe ich bei BL vom ersten Moment an sofort meine größten (leider in den Folgetagen nur zu begründeten) Zweifel. Ich denke mir nur: da hat Bergführer Eins bemerkt, dass er nur einen Kunden hat und folglich zu wenig Trinkgeld herausschaut und nun Bergführer Zwei als Subunternehmer organisiert. Und ich hab heute dann eine Mischung aus kürzestem Strohhalm und/oder der A-Karte gezogen. Erst nach der Rückkehr nach Deutschland erfahre ich, dass der wirklich geplante Bergführer Eins zu der Zeit krankheitsbedingt in Kathmandu bleiben musste. Am späteren Nachmittag schaue auch ich am Idiotenhügel vorbei, morgen bin ich da dran. Die „Murmeltier“-Gruppe erzählt mir, dass sie ab morgen direkt zum Hochlager gehen und das Basislager auslassen. Der Idiotenhügel ist zwar auch nicht steiler als die Hügel bei mir zuhause, aber zum Üben des am Fixseil gehen und dem Abseilen ist er gut genug. Gegen 16 Uhr zieht der Nebel vom Tal hinauf und es wird schlagartig kälter. Zum Abendessen füllt sich die Lodge, nur zwei im Raum haben den Gipfel erreicht, der Rest ist gescheitert oder erst heute vom Tal her angekommen. Wir erfahren auch, dass einer von der japanischen Gruppe schon 82 Jahre alt ist. Morgen ist wieder ein Tag zum Akklimatisieren vorgesehen, also nur wenig Programm. Tagesdaten: Start:Tangnag (4279m ü.N)N - 7:45 Uhr, Ziel: Khare (4899m ü.NN) - 11:15 Uhr - PO2 90% Tag 13: Khare Akklimatisierung Wie an den Vortagen, so ist auch heute Morgen wieder ein fast wolkenloser Himmel. Khare im Morgenlicht Wir wollen zunächst eine kleine Wanderung an einem Aussichtshügel nördlich von Khare machen. An seiner Spitze wäre dieser 5213m hoch. Da ich beim Aufstieg weiter oben der Meinung bin, bis zum Ziel ist es noch eine Stunde, machen Nir Kumar und ich schon vor dem Gipfel eine Rast. Später in Khare zurück werde ich sehen, es waren keine 200 Höhenmeter mehr sondern 200 Entfernungsmeter zum Wandern! Erst als Nir Kumar mich darauf hinweist, erkenne ich den Berg, der uns heute in Nord-Nord-West seine nicht so bekannte Rückseite zeigt. Es ist die markante 6812m hohe Ama Dablam. Nur leider erst später wird klar, dass von dem Bergrücken bei Khare die Ama Dablam nicht zu sehen ist. Die Ama Dablam wird verdeckt und somit auch verwechselt mit dem 6571m hohen Malanphulan. Blick in Richtung der Ama Dablam Rückseite, in Wirklichkeit ist es aber der Malanphulan Zeitig sind wir wieder in Khare zurück. Als Nächstes steht nun ein Ausrüstungscheck der Bergausrüstung an. BL prüft die Ausrüstung, Nir Kumar gibt Tipps und Tenji gibt mein Gurtzeug und die Schlingen einem seiner Kinder, das aus all den Einzelteilen eine Komplettausrüstung bastelt, kritisch vom Papa kontrolliert. Da ein Seil zu kurz als Seilsicherung ist, holt er aus dem Leihfundus ein längeres Seil und verbaut es. Dass jemand meine Bergausrüstung einfach aus dem Packsack schüttet, kann ich ja noch verstehen. Wenn aber jemand ungefragt den Inhalt meiner Trekkingtasche auf einer Plane ausschüttet und feucht fröhlich mit dem Aussortieren anfängt, dann werde auch ich einmal stinksauer. Mein schon sehr lautes und penetrantes »Ey … Ich bin kein kleines Kind! Verstanden!« holt BL schnell wieder auf Normalmaß zurück. Und im Umkreis von 100m schaut jetzt Jede(r) zu uns her ;-). Dass es in Kleiderschränken kleine Helferchen gibt, die Kleider enger machen, ist ja bekannt. Nur in meinem Kleiderschrank zuhause muss es da eine Spezies geben, die Kleider weiter macht. Da ich bei der Gipfeletappe meine Daunenjacke tragen werde, testen wir den Sitz des Gurtzeug mit getragener Daunenjacke. Mir war ja bewusst, dass meine Daunenjacke am (denkmalgeschützen) Brauereigewölbe eher etwas sehr figurbetont geschnitten ist (liegt nicht an der Jacke, sondern an mir), aber jetzt ist da noch Luft zwischen Jacke und Gewölbe. Ich prüfe nach: der Reißverschluss ist ok, nichts ist eingerissen. Kann es sein, dass ich auf der Tour schon ein paar Kilos abgenommen habe? Eigentlich habe ich vermutet, dass die Umfangsreduzierung aus der Gewichtsreduktion durch das „Aufblähen“ des Körpers in der Höhe kompensiert wird. Zu Tenjis Angebot über 200€ für meine Daunenjacke antworte ich mit einem Lächeln »No chance«. Da ich eine Isolationsgamasche an den Schuhen haben werde, die Gamaschen also zwischen Schuh und Steigeisen angebracht sind, empfiehlt Tenji mir, dass ich die Schalenschuhe nur auf dem Gletscher außerhalb der Lager trage. »Auch mit den zusätzlichen Schuhen hat Rabin weniger als 10kg von Dir zu tragen! Ich kenne ihn, das ist dann auch mit dem Rest der Ausrüstung kein Problem für Rabin. Und über ein bisschen mehr Trinkgeld freut er sich dann auch«! Nachdem die Ausrüstung vernünftig (aus-)sortiert ist, geht es nun wieder mit der Hardshell anstatt der Daunenjacke zum Idiotenhügel. Dort stehen jetzt das Einklemmen in das Fixseil, die Hangtraversierung und das Abseilen mit dem Seilachter an. Da ich meinem Eispickel schon mal dabei habe, übe ich gleich noch das Steigen am Fixseil zusammen mit dem Eispickel. Kontrolliert werde ich dabei von BL und im Tal von Nir Kumar. Nach ein paar erfolgreichen Runden auf der Strecke lassen wir es sein. Ein Fixseil gibt es am Mera Peak nur in der unmittelbaren Gipfelregion. Das Gehen am Seil erfolgt auch nur vom Hochlager zum Gipfel oder bei schlechten Sichtbedingungen oder schlecht erkennbaren Gletscherspalten auf dem kompletten Gletscher. Nach dem Idiotenhügel geht es zum Mittagessen. Mein Bergführer BL wird bis morgen beim Aufbruch zum Basislager kein Wort mehr mit mir reden: kein Briefing, kein Abklären von Ungereimtheiten, keine Festlegung von Uhrzeiten, keine Infos an Nir Kumar, einfach keine Konversation. Täuscht mich der erste Eindruck über ihn doch nicht! Ob das gut geht? Alle Infos zur Sache habe ich bis jetzt nur von Nir Kumar. Vom Essensraum aus sehe ich, dass die japanische Rentnergruppe jetzt den Idiotenhügel besetzt. Schon nach wenigen Minuten Zuschauen sind Nir Kumar und ich uns einig: Bei vielen von ihnen ist Hopfen und Malz verloren, kein Gefühl für das zu Tuende. Bei einer der älteren Damen sind wir uns beide nicht sicher, ob diese überhaupt noch weiß, ob sie hier an einem Berg ist, so desorientiert grinst sie in die Umgebung. Der Rest des Tages verläuft ereignislos, das Abendessen schmeckt wieder gut. Essentechnisch habe ich ja auf dieser Tour Vollpension. Solange ich nicht über die Stränge schlage, darf ich alles von der Karte bestellen. Und da Nir Kumar diesbezüglich bis jetzt noch nicht einmal mit der Wimper gezuckt hat, bin ich anscheinend sparsam genug. Ich habe ihm ja das Geld aus Kathmandu mitgebracht und vermute, dass er den Rest des Geldes am Ende der Tour für sich behalten darf. Ab morgen geht es auf den Gletscher, harren wir einmal der Dinge, die da kommen werden. Tagesdaten: PO2 90%
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