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Tag 12: Gokyo - Phortse Thanga

Schon seit 2 Uhr liege ich wach auf meinem Bettgestell und traue mich gar nicht aus dem Fenster zu schauen. Hat es aufgehört mit dem Schneefall oder schneit es immer noch munter weiter?

Aber irgendwann siegt dann doch die eigene Neugier und ich riskiere einen Blick aus dem Fenster von meinem Lodgezimmer. Kaum 2m vom Fenster entfernt steht in aller Seelenruhe ein Yak bis zum Bauch im Schnee versunken. Es hat anscheinend die ganze Nacht geschneit und der starke Schneefall hat immer noch nicht aufgehört.

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Yak im bauchtiefen Schnee vor der Lodge

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Noch ein Yak im bauchtiefen Schnee vor der Lodge

Hätte ich im Zelt vor der Lodge übernachtet. dann müsste ich es jetzt erst einmal freischaufeln, der Schnee liegt hier schon fast 1 Meter hoch. Auch Ganesh und der Rest der Mannschaft ist alles andere als erfreut über die (Wetter-)Situation.

Wie soll es nun weitergehen?

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oben: Schneeräumkommando auf dem Dach der Nachbarlodge 13.10.13 17 Uhr

unten: 1m Schnee auf dem Lodgedach 14.10.13 7:30 Uhr

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Bei diesen Schneemengen ist der Weg über den Cho La ins Everestgebiet für die nächste Woche unmöglich. Eine für heute vorgesehene Wanderung zum 5.See und zum Scoundrels View fällt wegen der Schneemassen auch flach. Vom Scoundrels View hätte man als Allerweltstrekker auch einmal die Chance die berühmte Lhotse-Flanke zum Everestsattel sehen zu können, aber es gibt keinen Weg mehr dorthin und es schneit aus allen Wolken.

Sollen wir nun heute einfach warten und auf Wetterbesserung hoffen oder umgehend wieder in tiefere Lagen zurückkehren?

Ich vermute einmal, unterhalb von Machermo dürfte kein Schnee mehr sein (leider ein Wunschgedanke, der spätere Verlauf dieses Tages wird mich eines anderen belehren!). Die Entscheidung dazu haben wir auf 8:45 Uhr festgelegt, wobei wir primär zurückwandern werden, wenn wir nicht die Einzigen sind.

Was passiert, wenn es weiter so schneit?

Ab 1,5m Schneehöhe ist man in Gokyo eingeschneit und wie lange dauert es dann, bis man wieder heraus aus Gokyo kann, ist dann vielleicht auch mein Rückflug in Gefahr?

Mir ist inzwischen bewußt, dass der Weg zum Mount Everest mir bei dieser Reise nicht mehr gegönnt sein wird und somit alle vor dieser Reise geplanten Aussichtspunkte über 5000m ü.NN nicht oder nicht mehr möglich sein werden. Ganesh lässt mich die Entscheidung treffen wie es weitergehen soll. Ich entscheide mich für den Rückweg in Richtung Machermo, da Ganesh meint, die Querung des Ngozumba-Gletschers ohne Wegmarkierung sei heute nicht möglich und die Wetterseite auszumachen sei heute nur schwer möglich. Es sind schon einige in Richtung Machermo gestartet und noch niemand ist wieder zurückgekehrt. Ein Umstand, der meine Entscheidung festigt.

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Der Weg zurück zwischen Ngozumba-Gletschermoräne und 3.See

So heißt es nun sich auf eine winterliche Ausrüstung umzustellen. Erstmals auf dieser Reise kommt meine Regenhose zum Einsatz, der Hut wandert in den Rucksack.

Bei starkem Schneefall starten wir den Rückweg in Richtung Machermo. Ein Verlaufen ist eigentlich nicht möglich. Es gibt nur eine Spur im sonst metertiefem Schnee. Nur die Spurweite der Spur ist für mich etwas gewöhnungsbedürftig.

Nepali erzeugen eine schmälere Spur als waldbrandaustretende mitteleuropäische Touristen. Schon nach 100m lässt sich feststellen, der ursprüngliche Spuranleger hat sein Handwerk sehr gut verstanden, denn fast mit schlafwandlerischer Sicherheit hat er alle im Schnee versteckten Felsbrocken umschifft. Die Sichtbedingungen sind bescheiden, kaum 100m ist die Sicht. Man sollte es aber tunlichst vermeiden an die Seiten der Spur zu treten: entweder man versinkt fast hoffnungslos im Schnee oder man haut sich an einem Felsen an.

Im immer gleichen Trott geht es weiter in Richtung zum Ende der Gletscherzunge des Ngozumba-Gletschers. Am gegenüberliegende Ende des kleinen 1.See höre und sehe ich den Abgang einer Lawine, denke mir aber noch nichts dabei.

Aber urplötzlich bleiben alle vor mir stehen und gehen nicht mehr weiter.

Traut sich da jemand nicht mehr über die ungesicherten Steintreppen nach unten gehen?

Ganesh sagt mir, dass er die Lage überprüfen will und ich hier bleiben und ich auf alle unsere Träger warten soll.

Nach 5 Minuten kommt Ganesh zurück, in seinem Gesicht ist das Erschrecken einzementiert.

Was ist hier los?

Er sagt, dass weiter unten 5 Träger und Yaks verschüttet worden sind, aber bereits wieder befreit worden sind. Er meint wir sollen hier etwas warten und dann gemeinsam mit all unseren Trägern weitergehen.

Viele der mit mir Wartenden kehren um zurück nach Gokyo, sollen wir auch umkehren?

Ich darf jetzt nicht für mich entscheiden, an meiner Entscheidung hängt auch die Gesundheit von 5 Einheimischen! Nachdem wir alle einstimmig weiter nach Machermo wollen, machen wir uns auf den Weg über die Metalltreppe, die den Einstieg in das ungesicherte Steintreppensteilstück darstellt.

Wenn wir jetzt schon wüssten, was uns in den nächsten paar hundert Metern erwartet, Jeder von uns wäre kommentarlos zurück nach Gokyo gegangen. Aber so laufen wir fast wie Lemminge auf die Klippen zu, ohne uns der wirklichen Gefahren bewusst zu sein!

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Blick zum Ende der Gletscherzunge des Ngozumba-Gletschers. Die rote Linie ist unser Weg zurück nach Dole, der rote Pfeil soll die Richtung der vielen abgehenden Lawinen bzw. Schneebretter zeigen

Die jetzt noch nicht erkannte Gefahrenlinie zeigt das obere Bild (rote Linie): die ersten 50m sind noch einigermaßen normal. Da auch die Trekker vor uns immer unter einem Felsvorsprung stehen bleiben, machen wir es ihnen nach. Aber es passen immer nur 2-3 Personen darunter. Wird ein Felsvorsprung frei, dann geht es zum nächsten Felsvorsprung. Aber nach dem 5.Felsvorsprung versperrt schon eine abgegangene Lawine den Weg.

Rüber über die Lawine oder zurück?

Bei einem Rückzug gefährden wir alle, die noch weiter oben sind! Also weiter über den 20m breiten Lawinenabgang!

Der Schnee dort ist bombenfest. An den geländerlosen Steintreppen, die kaum 1m breit sind, liegt 1m Schnee auf den Stufen und die nächste Lawine ist schon zu hören. Sie geht kaum 2 Felsvorsprünge hinter uns ab.

Ich denke mir, jetzt ist aber die Zeit des Kinderfaschings längst vorbei!

Heinrich, jetzt musst Du davon ausgehen, dass in der nächsten Stunde mit Toten zu rechnen ist und es nicht ausgeschlossen ist, dass du dabei bist.

Musste ich den unbedingt wegen der eigenen Eitelkeit das Leben anderer gefährden?

Ganesh überprüft immer, ob wir als Gruppe immer noch zusammen sind, was bedeutet, dass wir auf nicht mehr als zwei Felsvorsprüngen verteilt sind.

Es geht im Ziehharmonikaprinzip von Felsvorsprung zu Felsvorsprung. Die untere Mannschaft überwacht den Berg auf abgehende Lawinen und teilt der oberen Mannschaft mit, ob die Luft rein ist.

Beim Warten am Felsvorsprung plötzlich ein lautes Geräusch. Keine 5 Meter hinter uns geht eine kleine Lawine ab, auch über den Felsen gehen noch Schneemassen in “sicherer” Entfernung von 20-30cm über unsere Köpfe ab.

An unserem Felsvorsprung stehen wir zu viert, Ganesh, ich und zwei weitere Trekker. Diese beiden erhalten von unten die “Freigabe” zum nächsten Felsvorsprung und laufen los. Plötzlich der Schrei “Stopp” und das Donnern einer Lawine ist zu hören, einer der beiden läuft unverdrossen weiter nur der zweite bleibt stehen und schaut nach oben.

Junge lass den Blödsinn! Lauf endlich weiter oder zurück, es geht um dein Leben!

Kaum später kommen auch schon die Schneemassen nach unten. Ich sehe, dass der untere der beiden Trekker am anderen Rand der Lawinenseite angekommen ist.

Aber was passiert mit dem zweiten Trekker?

Er wird von den Schneemassen von den Beinen geholt und nach unten mitgezogen. Ich präge mir die Stelle ein, wo ich ihn zum letzten mal gesehen habe, weiter oben brauche ich ihn dann nicht aus der Lawine ausgraben.

Ich denke mir, wo will denn der ganze Schnee noch hin?

Wie durch eine monstergroße Ramme wird der Schnee nur noch rückwärtig verfestigt. Da brauchen wir ja einen Presslufthammer zum Ausgraben!

Hoffentlich lebt er dann noch! Nach wenigen Sekunden ist der Spuk vorbei und eine meterhoche Schneewand ist unmittelbar vor uns. Wie durch ein Wunder liegt der Mann auf dem Schnee mit dem Kopf nach oben und kann sich selbst aus den Schneemassen befreien. Auch den unteren Trekker von den Beiden sehe aus dem Schnee aufstehen.

Man haben wir hier Glück gehabt!

An mir selbst stelle ich fest, irgendwie hat mein Gehirn um weiter zu kommen sich nur noch auf den Überlebensmodus eingestellt. Man funktioniert ab jetzt nur noch wie eine Maschine. Und dabei möglichst schnell über die betonharten Lawinenabgänge. Kaum zu glauben, aber oben am “Lawinenhügel” angekommen sinkt man keine zehn Zentimeter im Schnee ein, so hart ist die Oberfläche.

Ich bemerke, dass alle Träger, auch die Träger anderer Gruppen, wegen ihrer turnschuhartigen Schuhe mit Sommerreifenprofil massive Probleme haben am Ende der Lawinenhügel vom Hügel nach unten zu gehen.

Ich verabrede mit Ganesh, dass ich auf jeder Abgangsseite mit meinen steigeisenfesten Schuhen kleine Treppen in den harten Schnee hauen werde, damit die Träger überhaupt nach unten kommen können. Er soll dabei auf weitere abgehende Lawinen achten, damit ich dann noch rechtzeitig aus der Gefahrenstelle verschwinden kann.

Mit den neue geschaffenen Treppen, schaffen es die Träger wesentlich einfacher mit ihrer Traglast unbeschadet nach unten zu kommen. Nach einiger Zeit (gefühlte Minuten, wahrscheinlich nach 1-2 Stunden) werden die Hügel neben dem Pfad flacher, mit Lawinenabgängen ist also kaum noch zu rechnen.

Aber jetzt kommt das nächste Problem für die Träger. Wie steht man mit gut 30kg Last am Rücken bei schneeglatter Spur auf?

Üblicherweise machen die einheimischen Träger dies mit der Hilfe von Steinvorsätzen. Statt Muskeln nutzen sie dabei ihren Hebelweg. Aber hier ist nur Schnee und mit ihren Turnschuhprofilen liegt alle 20m wieder ein anderer Träger im Schnee.

Wenn man von hinten als Mithelfer die Träger nach oben zieht, dann rutschen sie vorne weg, also zeige ich Ganesh und meinen Trägern wie man als Einzelner einen Zweiten beim Aufstehen helfen kann, auch im beladenen Zustand, auch wenn der andere schwergewichtiger ist. Ungläubig schauen sie mir zu, wie ich einen meiner Träger mit voller Last wieder aufstelle, sogar das Opfer ist überrascht. Dann ist Ganesh an der Reihe, er soll mich aufstellen: er mit 50kg, ich gut doppelt so schwer. Ob das gut geht? Aber mit der von mir gezeigten Technik funktioniert es problemlos. Aber jetzt müssen wir weiter, denn sonst muss ich heute den ganzen Tag noch jeden Träger die Technik zeigen.

Auf den weiteren Weg in Richtung Machermo sind zwar keine Lawinen mehr zu erwarten, die Schneespur ist aber mitten im Hang und der Schnee ist nur in der Spur fest. Ein Abrutschen nach unten wäre zwar nicht lebensgefährlich, aber im rutschfähigen Schnee zig Meter sich nach oben graben ist sicherlich auch  nicht spaßig.

    Anmerkung des Verfassers:
    Die nächsten 365 Tage bis zum 14.10.2014 war ich der Meinung, dass die vorgenannten Bedingungen eine einmalige Ausnahmesituation im Leben darstellen und so nicht mehr auftreten würden.
    Auf den Tag genau ein Jahr später wurde ich am 14.10.2014 beim Trekking auf der Annapurnarunde in Nepal am 5416m hohen Thorong La Pass hierzu eines Besseren belehrt. Im Vergleich zu den Bedingungen am Thorong La Pass sind die hier im Everestgebiet geschilderten Bedingungen ein absolut primitiver Kindergeburtstag. Aber die bei dieser Reise gemachten Erfahrungen haben wahrscheinlich auch dazu beigetragen, dass mir und meiner Begleitmannschaft die Chance gegönnt wurde, den 14.10.2014 überleben zu dürfen.

    Link zu den Geschehnissen am Thorong La am 14.10.2014

An einer Anhöhe vor Machermo ist dann das ganze Ausmaß der Schneefälle zu sehen. Nichts ist es mit grünen Weiden ab Machermo, überall weiter nach unten liegt Schnee, wahrscheinlich erst im Tal unten regnet es.

Sollen wir nur bis Machermo gehen oder noch weiter nach unten?

Ich sage zu Ganesh, je weiter wir nach unten kommen, desto besser ist es.

So machen wir in Machermo in der Lodge nur eine Teepause zum Aufwärmen, wir haben aber nur in der Küche einen Platz, die Wirtsstube ist restlos überfüllt. Draußen schneit es immer noch mit Vollgas, jetzt aber im nassen Pulverschneemodus. Meine Schuhe fühlen sich zwar doppelt so schwer an als üblich, aber anscheinend sind sie noch dicht. Auch meine Regenhose ist dicht, ich habe nicht das Gefühl, dass es unter ihr nass wäre.

Viele beenden heute schon hier in Machermo ihre Tagesetappe, denn in der Art und Weise wie sie ihre Wäsche trocknen, geht es sicher nicht mehr weiter. Für uns steht aber fest, dass wir auf jeden Fall noch weiter nach unten gehen, da wir sonst die Strecke in den nächsten Tagen zurücklegen müssten.

Nachdem wir uns alle aufgewärmt haben, geht es wieder nach außen in das Dauerschneefallgebiet. Wir wollen zunächst weiter nach Dole gehen. Die Schneehöhen haben sich zwar inzwischen reduziert, es ist kaum noch ein halber Meter Neuschnee, er ist aber deutlich nasser und z.T. auch schon etwas matschig . Auf der Strecke sind auch nur noch vereinzelt Personen unterwegs und niemand hangaufwärts in Richtung Machermo.

An der Lodge in Lhafarma drängt mir Ganesh ein Mittagessen auf, es ist aber bereits 14 Uhr und eigentlich steht es mir gar nicht nach Mittagessen. Er überzeugt mich davon, dass die Träger unbedingt eine Pause benötigen.

Die Pause für die Träger kann ich nur zu gut nachvollziehen, ich kann Ganesh aber dazu überreden, dass es in der Lodge für mich nur eine Nudelsuppe geben soll, die Küche von Ganesh soll geschlossen bleiben.

Meine Argumentation, wenn unsere Träger ziemlich erschöpft und restlos durchnässt sind, dann müssen sie jetzt nicht auch noch mit dem Essen kochen beginnen, überzeugt ihn. Mein Rucksack ist zwar trotz Regenüberzug auch restlos durchnässt (Ganesh hatte ihn seit meinem Lawinentreppenstufenherstellung in nicht nässeschonender Haltung getragen), meine wasserdichte Packtasche dürfte aber ihrer Funktion hoffentlich aller Ehre mache.

Wir entscheiden heute noch weiter bis nach Phortse Thanga oder eventuell sogar noch nach Phortse weiterzugehen. Für Letzteres würde es aber zeitlich zu spät werden.

Direkt nach Lhafarma ist es mit den schönen Schnee- und somit auch Wegverhältnissen vorbei. Es beginnt langsam ein Gemisch aus festgetretenem Schnee, Schlamm, Wasser und durchmischter Yakscheiße vorzuherrschen. Und zu allem Übel läuft nun auch an den Pfadserpentinen das Wasser in kleinen Sturzbächen die Hänge hinab.

Unmittelbar oberhalb von Dole angekommen, ist zu erkennen, dass sich die Zelte der Österreicher von den Vortagen noch an ihren angestammten Plätzen von Vorgestern befinden. Nur über das Außenzelt sind schwere Planen gelegt, d.h. die Österreicher haben Dole noch nicht verlassen.

Als Schlickrutscher geht es für Ganesh und mich hinab nach Dole. Unsere Träger sind irgendwo weit hinter uns, mit ihren einfachen Schuhwerken kommen sie wesentlich langsamer voran. In Dole selbst machen wir keinen Halt und gehen sofort weiter in Richtung Phortse Thanga, wo wir in spätestens 2 Stunden sein sollten. Inzwischen ist der Pfad zwar schneefrei, aber teilweise geht es über 15cm tiefe komplett den Weg erfassende Wasserrinnen den Pfad hinab ins Tal. Aus jeder Felsritze kommt inzwischen das Wasser, es regnet ja inzwischen wolkenbruchartig.

Was passiert hier im Tal, wenn durch den Regen die ganze Schneeschmelze ins Tal kommt?

Wir sind jetzt die Einzigen, die noch unterwegs sind.

Mitten in der Dämmerung kommen wir in Phortse Thanga an unserer Mittagslodge vom Herweg an.

Jetzt heißt es im wolkenbruchartigen Regen einen Platz für Zelt und Mannschaft zu finden. Da Ganesh für die Mannschaft keinen Platz hier findet, macht er sich auf die Suche nach einer anderen Lodge, ich soll zunächst hier einen Zitronentee trinken und auf ihn und/oder die Träger warten. Neben mir sitzt eine Trekkinggruppe eines deutschen Reiseveranstalters, die noch vom Weg nach Gokyo in den nächsten Tagen träumen. Nachdem ich ihnen Bilder von den Verhältnissen heute morgen in Gokyo zeige, sind sie nur noch schockiert. Aufgrund der Niederschläge hatte ich heute seit dem Verlassen der Lodge in Gokyo über den Tag komplett auf Fotos verzichtet und wegen des durchnässten Rucksack schon das Schlimmste für die nicht billige Fotoausrüstung befürchtet, aber diesmal ist es nur bei der Befürchtung geblieben, die Kamera funktioniert tadellos.

Nach gut 15 Minuten kommt Ganesh wieder zurück und wir gehen über eine Stahlbrücke auf die andere Uferseite des Dudh Khosi zur Trekkers Lodge. Dort sind wir die einzigen Gäste. Es ist inzwischen dunkel geworden und die Träger sind noch nicht da, wissen sie überhaupt wo wir sind? Aber 30 Minuten später sind wir wieder vollzählig.

Da ich nicht will, dass die inzwischen restlos durchnässten Träger im strömenden Dauerregen auch noch mein Zelt aufbauen, werde ich auch heute in einem Lodgezimmer übernachten.

Mit Ganesh vereinbare ich, dass die Eigenvorsorge der Träger jetzt Vorrang hat und das Essen kochen für mich jetzt einmal nachrangig ist. Wir schaffen es zu sechst, dass wir alle Trocknungsmöglichkeiten im Aufenthaltsraum der Lodge benötigen. Kein Tropfen Feuchtigkeit hat die Innenseite meiner Ortlieb-Tasche gefunden, die Schuhe sind zwar im Leder komplett wassergesättigt, die Strümpfe sind aber nur minimal klamm und im Bereich der vorderen Schnürung etwas durchnässt. Da habe ich wesentlich Schlimmeres befürchtet. Dies ist aber total normal und wirklich nicht schlimm. Nur alles im Hauptfach des Rucksacks ist durchnässt. Den Platz für ein Trinksystem im Rucksack nutze ich üblicherweise für Sachen, die nicht unbedingt nass werden sollten, und diese Sachen sind auch heute trocken geblieben.

Nur meine neue Hardshell-Jacke enttäuscht mich immer mehr. 2 Wochen vor der Abreise hatte meine alte Jacke an den Schnürzügen losgelöste Kleber, sodass ich sie hier nicht mitnehmen konnte, sie wurde aber später vom Hersteller Arcteryx trotz ihrer 8 Jahre kostenlos repariert. Also war nun eine andere Jacke notwendig. Da ich der Meinung war, auch andere wie Gore-Tex Jackenhersteller haben schöne Töchter, kaufte ich mir eine Jacke mit Dermizax als Regen- bzw. Dampfsperre. Der Regen blieb bei dieser Jacke ja heute weitestgehend draußen , dass ich aber bei einer Regenjacke an der Innenseite Wassertropfen habe und sich alles tropfnass anfühlt, dies ist mir gänzlich neu. Hier hilft auch nicht mehr die eigene Körperwärme. Auch am nächsten Tag ist die Jacke noch so richtig klamm. Die Sache wäre ja an sich nicht schlimm, aber: Meine Gore-Tex-Regenhose ist absolut trocken auf der Innenseite, auch meine Trekkinghose ist fast komplett von Nässe verschont geblieben, einzig am Übergang zum Stretchgewebe ist es etwas feucht, dies dürfte aber aus der Kondensierung wegen der unterschiedlichen Materialien stammen und ist aber schnell wieder weg.

Um 20 Uhr gibt es dann Abendessen, zubereitet von Ganesh mit seinen Helfern in der Küche der Lodge. Im Anschluss daran versammeln wir uns um den heißen Ofen der Lodge und lassen den Tag Revue passieren.

Haben heute alle den Tag unbeschadet überstanden?

Gibt es doch noch Lawinenopfer?

Wie schaut es inzwischen in Gokyo aus?

Wenn es so weiter schneit dort oben, dann können die dort oben langsam damit beginnen, dass sie dort Tunnel durch den Schnee bohren?

Wir für uns entscheiden, dass wir morgen hier in Phortse Thanga bleiben und unsere Ausrüstung trocknen.

V.a. auch dann, wenn es weiter noch wolkenbruchartig regnet, wie dies aktuell noch der Fall ist.

Tagesdaten: Start: Gokyo 4741m ü.NN - 9:10 Uhr, Ziel: Phortse Thanga 3653m ü .NN - 17:30 Uhr, ↑441m, ↓1539m

Tag 13: Phortse Thanga

Es hat die ganze Nacht hindurch in Strömen wolkenbruchartig weitergeregnet und es hört einfach noch nicht auf damit. Heute Nacht habe ich richtig gut geschlafen. Für das Frühstück haben wir keine Zeit vereinbart, wir werden es nach Bedarf durchführen. Heute soll es ja ein Faulenzertag werden, wenn es vielleicht am Nachmittag heller wird, dann gehen wir eventuell die 300 Höhenmeter hinauf nach Phortse und wieder zurück. Das lassen wir aber auf uns zukommen.

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Trekkers Lodge in Phortse Thanga

So wird es nach dem Frühstück ein gemütlicher Vormittag.

Ich habe auch das Gefühl, es wird etwas heller, inzwischen hört man nicht nur die Hubschrauber, ich sehe inzwischen auch einen Landen am gegenüberliegenden Hang am Mong La. Auch die Wolkenfront bekommt langsam wieder eine Kontur. Und es ist noch vor 10 Uhr, zu Hause ist diese Zeit immer ein Zeitpunkt für einen Wetterwechsel. Stellt sich bis dorthin (also auch 11 Uhr in der Sommerzeit) das Wetter von schlecht auf besser um, dann liegt dahinter meist ein Wettertrend. Und genau dieser Wettertrend scheint sich bis Mittag fortzusetzen. Der Regen lässt nach und aus einer Regensuppe wird langsam eine regengeschwängerte Wolkenfront.

Wir nutzen die Zeit bis zum Mittagessen zum Sortieren der Ausrüstung und zum weiteren Trocknen der Kleidung. Bis auf die Innenseite meiner Regenjacke ist inzwischen alles trocken. Mein im Rucksack durchnässtes Sweatshirt habe ich den ganzen Vormittag am Körper getragen, da trocknet es am schnellsten.

Ganesh fragt bei mir nach, warum ich nach Außen hin keine Unzufriedenheit über die entgangenen Möglichkeiten auf der Tour zeige.

Ich sage zu ihm: ”Ganesh, wir haben nichts falsch gemacht. Nur weil ich mir einen Nervenzusammenbruch zulege, ändere ich an der Situation nichts. Ich kann mich dann nur noch mit einer Sache mehr rumärgern.”

Zur Mittagszeit kommen immer mehr Trekker in die Lodge. Auch ein bekanntes Gesicht aus Gokyo. Er war gestern in Machermo geblieben und will heute noch weiter bis nach Dingboche.

Üblicherweise verreise ich in Gruppen, aber warum ich bei Trekkingtouren kein Gruppenmitglied um mich herumhaben möchte, dieser Umstand wird mir heute während der Mittagsessenszeit zur Genüge vorgeführt.

Oder anders ausgedrückt: Wenn die Kegelabteilung vom A...verein ihren Vereinsausflug hat.

Üblicherweise grüßt man eigentlich jeden, der schon in einer Lodge am Tisch sitzt kurz. Aber diese Gruppe, sprachlich unzweideutig einem südwestdeutschen Landesbereich zuordenbar, kommt in den Aufenthaltsraum, nimmt ungefragt 2 Tische in Beschlag und räumt die Tische frei. Auch mein Rucksack und meine Regenjacke fliegen (!) ungefragt irgendwo ins Eck. Eigentlich nichts Schlimmes, dann wird aber der komplette Vorrat an alkoholischen Flachmännern der Lodge aufgekauft und mittels Singspielen vernichtet. Auch sonst ist ihr Verhalten so, dass alle Außenstehendes wirklich alles mitbekommen, aber sonst die Umwelt wie Luft und das Lodgepersonal wie Diener behandelt werden.

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Unser komplettes Team v.l.n.r. (Alter in Klammern): Träger (18), Ganesh (35), Ich (45), Küchenträger (22), Küchenträger (20), Ganesh Schwager (40). Im Bild rot umkreist der Spirituosenvorrat der Lodge ("Flachmänner")

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Dieser Vorrat an Flachmännern wurde von der vorgenannten Gruppe binnen 10 Minuten vertilgt!

Auch die anderen in der Lodge schütteln nur den Kopf. Nur bei zwei bis drei aus der Gruppe scheint die Sache doch etwas peinlich zu sein. Das zwei von ihnen den gestrigen Tag schon teilweise unter einer Lawine verbracht haben, interessiert sie nicht die Bohne. Diese zwei aus der Gruppe waren gestern beim Lawinenabgang unmittelbar vor mir. Ihrem Krach nach zu urteilen wollen sie heute noch nach Phortse und haben in Machermo oder Dole übernachtet.

Aber auch solch ein Verhalten lässt sich überstehen und ab 14:30 Uhr hört der Regen gänzlich auf. Ganesh teilt mir mit, ob ich mein Zimmer behalten möchte, da später eine Gruppe eintreffen werde und alle Zimmer benötigt werden. Ich teile ihm mit, dass ich gerne wieder im Zelt schlafen werde und räume mein Zimmer umgehend.

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Weg von Phortse Thanga (links unten) nach Phortse - Tage zuvor aufgenommen

Um 15 Uhr beschließen Ganesh und Ich, dass wir mit einem Träger einen Spaziergang ins 300m höher gelegene Phortse machen. Der Weg dorthin ist zwar kurz, aber steil (wie auf dem Bild weiter links oben erkennbar). Auch der Ort selbst ist am Hang gebaut.

Es gibt, wie hier oft üblich, keine “Dorfstraße”, man weiß also nicht, wo ist der Eingang, der Durchgang und der Ausgang des Ortes. Schon jetzt ist in Phortse erkennbar, dass die Schneegrenze an den Bergen im Vergleich zu vor ein paar Tagen deutlich gesunken ist, sie dürfte anstatt bei 5500 - 6000m schon bei etwa 4200-4400m liegen. Auf etwa 4700m liegt dann die Wolkenfront, durch der sich inzwischen auch schon ein kleiner Sonnenschein wagt. Der mitgekommene Träger hat in Phortse Geschäfte zu erledigen und wir machen uns auf den Weg durch den Ort.

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Tief hängende Wolken über Phortse - Blick in Richtung Namche Bazaar / Khongde

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Phortse - Gompa

Es gibt keine befestigten Wege, auch keine Kanalisation. Der Regen hat die Wege ausgehöhlt und das Wasser läuft in Sturzbächen zwischen den Steinmauern herab. Um nicht nass zu werden, können wir nur noch im Krätschschritt weitergehen.

Zunächst besuchen wir den höchstgelegenen Punkt am Ort, den Platz vor der Gompa auf 4050m, anschließend statten wir der Sammelunterkunft für gerade auftragsfreie Träger eine Besuch ab. Hier liegt Schlafsack an Schlafsack und man vertreibt sich die Zeit mit Karten spielen. Neben dem Abzug am offenen Ofen hängt frei das Fleisch herum. Einen angebotenen Tee lehne ich natürlich nicht ab.

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Sammelunterkunft für auftragsfreie Porter in Phortse

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Sammelunterkunft für auftragsfreie Porter in Phortse - Küche

Gemütlich machen wir uns im Anschluss wieder auf den Weg zurück hinab ins Tal nach Phortse Thanga. Schon von oben ist ersichtlich, dass an unserer Lodge deutlich mehr Betrieb ist.

Beim Eintreffen an der Lodge erkenne ich auch alte Bekannte wieder: es ist die Reisegruppe aus Quebec in Kanada, die neben mir in Machermo gezeltet haben. Sie waren einen weiteren Tag in Machermo geblieben, hatten auch meinen Rückzug gestern mitbekommen, und sind heute bis hierher gewandert. Von meinen Bildern aus Gokyo sind auch sie schockiert. Es gibt also viel zu erzählen bis zum Abendessen.

Pünktlich zum Abendessen verziehen sich auch die Wolken, es könnte also morgen ein schöner Tag werden. Ich bin aber heute der einzige zahlende im Zelt übernachtende Gast. Alle “Quebecer” ziehen ein Lodgezimmer dem 100.000-Sterne-Hotel des Zeltes vor.

Nach dem Abendessen planen ich und Ganesh die weitere Tour im Rahmen der noch zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Wir planen, morgen nach Dingboche zu gehen, dann nach Chukhung. In Chukhung auf den 5550m hohen Chukhung Ri und anschließend den Rückweg nach Lukla anzutreten. Und wenn morgen dass Wetter passen sollte, dann sind wir mit unserer gestrigen Aktion und dem heutigen Faulenzertag nur einmal nass geworden.

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Phortse Thanga - ein Versuch den Sternenhimmel zu fotografieren

Tagesdaten: Start: Phortse Thanga 3653m, Ziel: Phortse Thanga 3653m ü.NN, ↑345m, ↓345m

 

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