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Traumkulisse, gesehen in der Nähe des Muktinath-Tempel (Name - Höhe / Entfernung) : 1: Dhaulagiri I - 8167m / 42km; 2: Tukuche Peak - 6920m / 38km; 3: Dhaulagiri III - 7715m / 49km; 4: Dhaulagiri II - 7751m / 46km; 5: Dhampus Peak - 6035m / 24km

Tag 13: Muktinath - Kagbeni

Die Nacht war für mich ruhig und die Schlafzeiten waren relativ normal. Eigentlich hatte ich gestern Abend eine wesentlich größere Müdigkeit erwartet, aber es war alles ganz normal. Auch normal waren die Außengeräusche seit der gestrigen Ankunft. Keine Betriebsamkeit war außerhalb des Hotels zu bemerken, v.a. keine solche, die auf ein größeres Ereignis vom Vortag hinweisen würde.

Nach dem Frühstück wollen wir uns heute zum gut 100 Höhenmeter über den Ort Muktinath bzw. Ranipauwa gelegenen Tempelkomplex Muktinath aufmachen. Der Name Muktinath steht für den Tempelkomplex, Ranipauwa (Rani = Königin, Pauwa = Pilgerhaus) ist der Name des Ortes mit den ganzen Übernachtungsmöglichkeiten. Die Tempelanlage von Muktinath gilt sowohl für Buddhisten als auch für Hinduisten seit vielen Jahrhunderten als wichtiges Pilgerziel. Schon aus diesen Grund heraus wird der Straßenbau bis nach Muktinath mit Einsatz vorangetrieben. Das Besondere der Tempelanlage liegt daran, dass in einem Tempelbereich nebeneinander Wasser und Erdgas in Form einer blauen Flamme austreten. Ein weiterer Tempelbereich ist bekannt für seine in einem Halbkreis angeordneten 108 Wasserspeier, wobei die Zahl 108 als heilige Zahl gilt.

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Muktinath beim Royal Mustang Hotel gegen 8:15 Uhr am Tag danach

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Muktinath-Tempel - Im Taleinschnitt geht es rechts hinauf in Richtung Thorong La

Das heutige Wetter ist mit dem gestrigen Wetter in keinster Weise zu vergleichen . Strahlend blauer Himmel ist heute über Muktinath. Wir machen uns auf den Weg in Richtung der Tempelanlage. Im Ort selbst herrscht heute mehr Betriebsamkeit im Vergleich zu gestern. Aber es sind meist Einheimische, die ihre Verkaufsstände aufbauen. War gestern der Abstieg vom Tempelkomplex zum Ort schon sehr konzentrationsaufwändig, so wird dies beim “Aufstieg” bei den heutigen Glatteisbedingungen noch deutlich getoppt.

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Auch wenn das Bild anderes vermuten lässt, ich habe nicht die Hosen voll, aber 100 Höhenmeter fast nur über Wasserfilm-Eisplatten sind wahrlich kein Spaß

Der Weg geht meist über Treppenstufen, die selbstverständlich nicht vom Schnee befreit wurden und somit sich die gestrigen Trittspuren in allerbestes Glatteis verwandeln konnten. Da die Sonne vom wolkenlosen Himmel scheint, hat sich natürlich schon ein glatter Schmierfilm über das ansonsten harte Glatteis gebildet. So ist es alles andere als spaßig zum Eingang des Tempelbereiches zu gelangen.

Was mich jetzt schon verwundert: es ist niemand unterwegs und in Richtung Bergseite sehe ich auch keine Spuren.

Wie kann ich jetzt die gestrige Aussage von Shukra Bir einordnen?

Auf was lässt sich die Zahl der Vermissten beziehen?

Im Ort war auch nichts zu bemerken, dass da gestern Schlimmeres passiert wäre .

Dass da erst 2 Stunden vorher die letzten Trekker vom Berg fast direkt hier an dieser Stelle herabgekommen sind, davon wissen wir zu dieser Zeit noch nichts. Die traumhaften Wetterbedingungen in einer schneeüberzuckerten Landschaft lassen uns gar nicht soweit denken. Erst jetzt können wir sehen, aus welch einer Ecke wir da vom Thorong La gestern gekommen sind.

Und der Blick nach Westen ist schier unbeschreiblich. Ein wahrlicher Riesenklotz ist da schon einmal der heute wolkenlose 8167m hohe Dhaulagiri I, er strahlt mit all seinen nördlichen Nachbarn um die Wette.

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Traumkulisse von Muktinath in Richtung Westen zur Dhaulagiri Hima

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FOTOMONTAGE: Bild wie oben, 15 Stunden vorher, grob aufgezeigt, wie die Sichtbedingungen am 14.10.2014 gegen 15 Uhr waren - Himmel war heller - Hügel im Tal wesentlich dunkler

Kaum zu glauben, dass er über 40km entfernt liegt, so klar ist die Luft. Der Dhaulagiri I galt bis zur Entdeckung des Mount Everest als höchster Berg der Welt. Und im direkten Kontrast zu ihm steht das Braun der vegetationslos wirkenden niederen Höhen, die talseits im Tal der Kali Gandaki enden.

Irgendwo da unten ist auch unser heutiges Tagesziel, der mit 2850m ü.NN fast 1000 Höhenmeter tiefer gelegene Ort Kagbeni. Das Ganze wirkt irgendwie surreal zum gestrigen Grauweiß in Weißgrau.

Wir besuchen das Innere der Tempelanlage und Shukra Bir lässt es sich nicht nehmen, Wasser aus allen 108 Wasserspeiern in eine Flasche laufen zu lassen. Ist es für ihn eine Art des Dankes für das Überstehen des gestrigen Bedingungen?

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Muktinath, innerhalb der Tempelanlage

Gemütlich machen wir uns wieder auf den Rückweg nach Ranipauwa. Nur ganz vereinzelt kommen uns Menschen entgegen, die aber eher wie Pilger wirken. War beim Start im Ort noch aller Schnee gefroren, so gibt es inzwischen aufgrund der Sonneneinstrahlung genügend Wasserpfützen im Ort. Jetzt sieht man auch vereinzelt Touristen auf der Straße, aber das kann bestenfalls ein Bruchteil der gestrigen Passaspiranten sein. Und von Hektik ist keine Spur zu erkennen.

Im Hotel wieder angekommen, packe ich den Rest meiner Ausrüstung. Bis auf mein Sweatshirt und die Daunenjacke ist alles soweit getrocknet, dass man es auch in die Packtasche verpacken kann.

Shukra Bir teilt mir mit, dass er in der Agentur in Kathmandu angerufen habe und man ihn mitgeteilt hat, dass alle in allen Gruppen der Agentur gesund den gestrigen Tag überstanden haben. Was hat es dann mit der gestrigen Aussage des Uniformierten auf sich?

Ein Sturm im Wasserglas?

Wenn da jetzt was Schlimmeres wäre, dann müsste doch zumindest schon ein Hubschrauber aus Pokhara da sein, oder sind die alle in Kathmandu stationiert? Nur wenn sie ohne Zwischenlandung in Jomsom hier herfliegen könnten, dann hätten wir schon einen Hubschrauber gehört. Ab 6:30 Uhr können sie meist fliegen und inzwischen ist es 9:00 Uhr.

Es ist 9:30 Uhr als wir unseren Weg nach Kagbeni antreten. Wir haben uns für die kurze Variante südlich des Jhong Khola über die Orte Jharkot und Khingar entschieden. Mir schwirrt immer noch der Satz von gestern in meinen Gehirnwindungen und ich suche dabei in meiner Umgebung Anzeichen dafür, wie ich die “Unglücksaussage” einordnen kann.

An den Gesichtern der Einheimischen und auch der wenigen Touristen kann ich keine Betroffenheit oder “ich-will-meine-Ruhe-haben”-Gesichter sehen, sie wirken eher wie ein Trekking an einem wunderschönen Tag. Auch die wenigen Trekker kann ich von der Vergleichsanzahl nur schlecht einschätzen, denn wir sind auf der Route nach Kagbeni. Wie hoch der Anteil der Trekker mit dem Weg direkt nach Jomsom sind, dazu kenne ich die üblichen Zahlen nicht.

Direkt vor dem Stadteingang von Muktinath geht es steil die Piste hinab. Die uns entgegenkommenden Motorräder haben sehr schwer zu kämpfen, überhaupt nach oben gelangen zu können. Schon von hier ist der “Adlerhorst” von Jharkot zu sehen, gebaut wie selbiger an einen Felssporn. Ab Jharkot endet heute der Schnee und auch die Route verläuft nun auf der Straße, die von Muktinath her kommt.

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Weg nach Kagbeni - Shukra Bir u.a. als zweibeiniger Wäschetrockner

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Blick zurück von Khingar nach Muktinath

Es sind heute mehr Autos unterwegs als Trekker zu Fuß. Wobei Auto eigentlich nicht stimmt, es sind Geländefahrzeuge und Allradbusse und die Piste heute eher ein Schlammlandschaft denn eine Straße.

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Traktor mit massiven Rauchzeichen - groß bereifte Anhänger wegen Schlaglöcher

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Allradbus

Bis nach Kagbeni werden es kaum 10 Trekker sein. Nur die Landschaftsszenerie könnte unterschiedlicher nicht sein. Nach Osten der Ort Muktinath und etwas Farbe aus dem Laub der Bäume, darüber die schneebedeckten Berge und obendrauf ein wolkenloser blauer Himmel. Unterhalb unserer Höhe schließt sich dann ein fast vegetationslos wirkendes Trockengebiet an, eine Szenerie, die fast schon wieder etwas an Nordwestargentinien und das Altiplano oder Bolivien in der Nähe von La Paz erinnert. Tief eingegraben in die Landschaft hat sich hier der Jhong Khola Fluß.

Die stark scheinende Sonne nutzen wir als Wäschetrockner, Shukra Bir hat sich meine Daunenjacke auf das Gepäck gespannt und hinter meinem Rucksack hängt mein immer noch sehr nasses Sweatshirt. Unsere Strecke führt uns auf der Piste gemütlich am Hang entlang, nur wo kann da ein Ort Kagbeni liegen?

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Letzter Blick zurück in Richtung Muktinath - Thorong La in der Delle in Bildmitte, unten in vergrößerter Aufnahme

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Thorong La am 15.10.2014 etwa gegen 11 Uhr

Kagbeni soll ja eine grüne Oase im oberen Kali Gandaki Tal sein. Vermuten können wir den Ort nur irgendwo unten im Tal, vor der Bergfront auf der westlich gelegenen Talseite. Aber dann entdecken wir den Ort, wirklich eine grüne Oase fast direkt unter uns. Mein Höhenmesser sagt, dass wir noch einige hundert Höhenmeter nach unten vor uns haben. Wir kürzen die Laufstrecke über einen Fußpfad ab, müssen aber feststellen, dass irgendwo weiter unten ein Geröllsturz war und wir doch wieder den serpentinenhaften Verlauf der Piste folgen müssen.

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Kagbeni

Gegen 12 Uhr erreichen wir den Ort Kagbeni und nehmen Quartier im windgeschützten “Garten” einer Lodge. Dort baut Shukra Bir und Ram prasad als Erstes das immer noch durchnässte Zelt auf, damit es hier in der Sonne trocknen kann. Die lange Wäscheleine im Garten der Lodge reicht für unsere nassen Sachen bei Weitem nicht aus, sodass ich auch noch meine Leine spanne und alle meine Wäscheklammern im Einsatz sind. Anschließend soll ich im Essraum dann auf das Mittagessen warten. Auf den kurzen Weg dorthin ist auch erstmals das Geräusch eines Hubschraubers zu hören, der vermutlich in Richtung Muktinath fliegt.

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Reisernte (?) in Kagbeni - im Hintergrund die Kali Gandaki

Im Essensraum der Lodge befinden sich neben mir noch drei weitere Personen, die am gegenüberliegenden Ende des langen Tisches, an dem ich Platz genommen habe, sitzen. Anhand ihres Reiseführerbuches ordnete ich sie als zwei französische Frauen und einen französischen Mann ein. Ihr Verhalten wirkt auf mich sehr gespenstisch. Sie reden kein Wort, haben alle drei inhaltsleere Gesichter und einen noch leereren Blick. Im Sessel hinter ihnen liegen Tagesrucksäcke und Medizin. Es wirkt auf mich, als hätten sie etwas unwiederbringlich verloren, als ob jemand für immer fehlt. Jeder starrt regungslos in sich selbst hinein.

Stimmt die Aussage von gestern doch?

Bei der Rückkehr von einem zwischenzeitlichen Toilettengang läuft mir Shukra Bir über den Weg und sagt, er hätte Neuigkeiten zum Thorong La. Ich sage zu Shukra Bir: »Gehen wir raus, ich vermute bei den drei dort drin geht mindestens Einer ab!« Er erzählt mir von 12 Toten und mehr als 60 Vermissten, kann aber nicht sagen, ob damit das ganze Gebiet gemeint ist oder nur das Gebiet um den Thorong La.

Wir schauen uns an und fragen uns: wenn es der Thorong La war, wo hat das sein können? Haben wir etwas übersehen?

Haben wir etwas falsch gemacht?

Wie können soviel Menschen vermisst sein?

Was passt hier nicht?

Wir finden aber keine Lösung. Jetzt hier im von der Sonne verwöhnten Kagbeni und gestern wurde am Thorong La der hellste Tag zur Nacht!

In nachdenklicher Stimmung nehme ich das Mittagessen ein. Anschließend nutze ich die Zeit zum Duschen und zum Wäsche waschen, letzteres machen auch alle aus der Begleitmannschaft.

Im Laufe des Nachmittags wird das ganze Tal von einem ohrenbetäubenden Lärm umhüllt.

Ich sage zu Shukra Bir und Ram prasad: »Wenn der Teppichklopfer in der Luft die Monster-Mi-8 der Armee aus Kathmandu ist, dann ist die Kacke hinten am Pass restlos am dampfen!«

Kaum 2 Minuten später überfliegt der riesige Mi-8-Hubschrauber Kagbeni in Richtung Muktinath. Und es werden an diesem Nachmittag noch mehrere Hubschrauber folgen.

Nicht schön! Gar nicht schön!

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Kartenspielen als Zeitvertreib in Kagbeni - Shukra Bir mit meinem altehrwürdigen Globetrotter-T-Shirt

Wir vertreiben uns die restliche Zeit des Nachmittags mit Kartenspielen im Garten. Im Wind und in der Sonne schafft es sogar meine Daunenjacke, dass sie komplett trocknet. Da es außerhalb des mauergeschützten Gartens doch sehr windig ist, verzichten wir auf einen Besuch von Kagbeni Downtown.

Das Abendessen serviert mir meine Mannschaft wieder im Essensraum der Lodge. Inzwischen sind doch ein paar Trekker mehr da. Für mich stellt sich jetzt nach dem Essen die Frage: zu Hause anrufen und mitteilen, dass am Thorong La alles gut gegangen ist? Oder wecke ich damit nur schlafende Hunde? Es lässt mir keine Ruhe und ich entschließe mich dazu, in Deutschland anzurufen. Das Vorhaben scheitert aber, da es zwar anscheinend schon wieder Strom im Ort gibt, dass Handynetz aber noch nicht wieder steht. Mit null Balken Empfang geht da gar nichts, in Muktinath wäre noch eine Empfang gewesen..

Tagesdaten: Start: Muktinath Tempel 8:15-9:15 Uhr; Muktinath (3760m ü.NN) - 9:30 Uhr, Ziel: Kagbeni (2850m ü.NN) - 12:15 Uhr, ↑270m, ↓1050m

Tag 14: Kagbeni - Marpha

Auch zum Frühstück zeigt mein Handy noch null Balken an. Da wir aber in Nepal 3:45 Stunden vor deutscher Zeit haben, wäre ein Anruf zu tiefster deutscher Nacht ein wahrer Telefonterror. Also entschließe ich mich dazu, es erst ab Jomsom zu probieren.

Wir wollen heute das Kali Gandaki Tal talwärts wandern. Die Kali Gandaki (“schwarze” Gandaki) entspringt ganz im Norden Nepals an der tibetischen Grenze in Bereich Mustang und durchquert den Himalaya südwärts.

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Bei Kagbeni 2850m - links Nilgiri North 7061m, rechts Dhaulagiri I 8167m

Das es sich beim Kali Gandaki um ein wahrlich tiefes Tal handelt, lässt nicht nur der Blick aus dem Fenster der Lodge erahnen. Auch der strahlend blaue Himmel gibt heute den Blick auf die beiden nördlichen Eingangstore des Tales frei, links bzw. östlich des Flusses das Nilgiri Massiv mit dem 7061m hohen Nilgiri Nord, rechtsseitig oder im Westen hinter einem vorgelagerten Berg hervorscheinend, der wolkenlose 8167m hohe Dhaulagiri I, beide sind 23km voneinander entfernt, der Dhaulagiri aber immer noch 30km von uns entfernt. Erst nachdem man sich die Entfernung vor Augen führt, erkennt man, dass da vor einem schon deftige Schrankwände aufgebaut sind. Aktuell wäre das Tal hier schon 4200m tief, auch wenn es bei weitem nicht so wirkt.

Unsere Strecke führt uns zunächst leicht oberhalb des riesigen Flußbettes der Kali Gandaki, nur wenig davon ist mit Wasser gefüllt. Da wir noch sehr zeitig unterwegs sind, gibt es auch noch nicht die sonst ab etwa 11 Uhr auftretenden gefürchteten starken Winde, bedingt durch die Düsenwirkung des Tals, dem tropischen Nepal und der kalten Hochebene von Tibet. Nur wirken die Uferseiten hier eher wie angeschwemmte Kies-, Stein- und Dreckhaufen, von einer wirklich festen Bodensohle kann nicht die Rede sein. Teilweise führt der Pfad nach Jomsom auf der Piste, dann auch wieder auf eigenen Wegen und manchmal direkt oberhalb des wasserführenden Flußbetts am steilen Hang entlang.

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Auf Schutt gebaut - “Ufer” über dem Kali Gandaki zwischen Kagbeni und Jomsom

Südlich des kleinen Ortes Ekli Bhotti streckt sich eine ewig lange Hängebrücke quer über das komplette Tal. Hat man als Tourist schon bei so mancher Hängebrücke so seine Bedenken, was die Haltbarkeit betrifft, von schlechten Eltern kann diese Brücke nicht sein. Denn als wäre aktuell ein Almabtrieb, so überqueren wie an einer Perlenschnur angereiht mehr als 130 Ziegen den Fluß über die Brücke, ein Fotomotiv, welches man nicht jeden Tag sieht. Und ein Zeichen dafür, dass die Brücke mehr als 10 Tonnen Last trägt.

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Ziegen-Perlenspur (> 132 Stück) über die Kali Gandaki bei Ekle Bhotti - Almabtrieb auf nepalesisch (zum Vergrößern auf das Bild klicken (Bild hat 7,5MB!)

Nach einiger Zeit ist weiter hinten im Tal der Ort Jomsom zu sehen, der Hauptort von Mustang, gelegen unterhalb des Panoramas von Dhaulagiri und Tukuche Peak. Zu sehen und zu hören sind die Flugzeuge, die am Flugplatz des Ortes starten und landen. Diese Propellerflugzeuge treffen meistens aus Pokhara von der anderen Seite des Annapurnamassivs mit einem Panoramaflug über selbigen ein. Der Rückflug führt dann meistens sehr nahe am Dhaulagiri vorbei. Die Flugzeuge können aber meist wegen der Winde nur in den Morgenstunden starten und landen.

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Dhaulagiri 8167m und Tukuche Peak 6920m, im Tal ist der Ort Jomsom

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Dhaulagiri 8167m

Auch heute sind wieder Hubschrauber unterwegs, meist in Richtung Kagbeni, wo sie dann in Richtung Muktinath einbiegen. Auch die rot-weiß-blauen Fishtail-Hubschrauber sind zu sehen, diese sind sonst meist nur in der Everestregion im Einsatz. Wenn die jetzt schon hier unterwegs sind, was ist dann hinten in Muktinath erst alles los?

Gegen 10:30 Uhr treffen wir in Jomsom ein. Bisher war eigentlich fast kein Verkehr auf der Piste und wie sonst immer berichtet, dass es sehr staubig ist, davon haben wir auch nichts mitbekommen. Mit dem Ort Jomsom sind wir wieder in eine andere Welt gekommen, irgendwie herrscht hier eine rege Betriebsamkeit, vorbei ist es mit der Ruhe. Wir machen uns auf den Weg zu einem Hotel in unmittelbarer Flughafennähe, wo wir auch unsere Mittagsrast einlegen. Im Foyer herrscht ein reges Kommen und Gehen, Neuankömmlinge und Abreisende geben sich die Klinke.

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Gebirgskette des Nilgiri Himal von Jomsom aus gesehen

Während der Zeit bis zum Essen erledige ich meine Telefonanrufe nach Deutschland, für 60 Cent die Minute mit dem Hoteltelefon billiger als Mobil. Ich erfahre, dass es in Deutschland Infos zu einer Katastrophe an der Annapurna mit Toten gegeben hat, ob da auch vom Thorong La die Rede war, können sie mir nicht sagen. Auch wenn ich sonst grundsätzlich nicht aus dem Urlaub zu Hause anrufe, heute haben mir diese Anrufe sehr gut getan.

Beim Warten auf das Mittagessen kann ich beobachten, wie zwei ältere europäische Herren (die Nationalität erspare ich mir jetzt, sie sind nicht deutschsprachig) im Luis Trenker Outfit einem Nepali, wahrscheinlich ihrem Guide, sehr herablassend das Mittagessen und die Bestellung des Abendessens befehlen. Als mir der Guide über den Weg läuft, frage ich ihn: »Wie lange musst Du Deine Sklaventreiber noch aushalten?« Er lächelt und gibt mir mit dem Zeigen von Daumen und Zeigefinger die Anzahl der Tage zu verstehen. Interessant ist auch das Preisgefüge eines Touragenten gegenüber zwei Australiern, den Everestflu bietet er für 300 USD (< 180 USD ist üblich) an, die Fahrt im Bus von Jomsom nach Tatopani für 1500NPR (300-400 ist üblich).

Nach dem Mittagessen wollen wir heute noch weiter bis ins zwei Stunden entfernte Marpha. Nur jetzt werden wir uns in den Stoßzeiten des Windes bewegen. Die Gletscherbrille dient als Augenschutz und anstatt des Akubra gibt es die Wollmütze. Wobei ich sagen muss, ich hatte mich auf patagonische Windverhältnisse eingestellt und davon sind wir heute noch weit entfernt. Der Weg befindet sich meist auf der Piste und es herrscht auch Verkehr auf der Piste und ein bißchen Staub wird auch aufgewirbelt, aber nicht im entferntesten die Horrormengen wie aus unzähligen Internetberichten. Auch sind wir wieder die Einzigen auf der Strecke, auch zwischen Kagbeni und Jomsom waren es kaum mehr als 8 Touristen.

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Marpha - Ortsrand

Kurz nach 14 Uhr treffen wir im Ort Marpha ein, windgeschützt in einer Kehre der Kali Gandaki gelegen und bekannt für seinen Apfelanbau. Wir bauen mein Zelt im Garten hinter einem Hotel auf. Wobei mich hier schon der Ordnungssinn des Besitzers überrascht. Erstmalig sehe ich gestapelte benützte Bretter. Und es ist das erste Haus in Nepal, an dem ich einen sonnendurchfluteten Wintergarten sehe. Im selbigen lade ich meine Mannschaft zu einer Runde Ghurka Bier ein, wir haben ja heute noch genügend Zeit.

Im Wintergarten sitzen auch noch zwei ältere Herren, ich vermute Dorfhonorationen, die uns fragen, wo wir herkommen. Ich sage, dass wir die Annapurnarunde machen und vom Thorong La kommen. Erstaunt fragen sie nach, ob wir noch vor der Katastrophe über den Pass sind, aktuell sei er ja geschlossen. Weit mehr erstaunt sind sie, als wir ihnen sagen, dass wir nicht vor oder nach dem Unglück, sondern am Unglückstag über den Pass sind. Und mein Bild vom Thorong La schockiert sie. Sie erzählen mir, dass es inzwischen 27 Tote im Bereich der Annapurna gibt. Wir erzählen ihnen, dass die Bedingungen zwar sehr extrem waren, wir aber von solch katastrophalen Ausmaßen überhaupt nichts mitbekommen haben.

Einer der beiden Herren stellt sich als der Hotelbesitzer vor. Da mir sein Wintergarten sehr positiv aufgefallen ist, frage ich ihn: »Waren Sie schon einmal in Deutschland«, er antwortet »Drei Mal«, ich erwidere »Das sieht man!«, er fragt: »Woran?« und ich sage »Dein Wintergarten würde wahrscheinlich auch eine deutsche Bauaufsicht überleben!«. Der Wintergarten besteht aus für deutsche Verhältnisse gleich dicken Balken, die Glasflächen sind sauber eingefasst und abgedichtet, die Stromkabel verlaufen in Kabelkanäle, es gibt Klemmboxen beim Strom, die Fugen sind abgedichtet, kein Fenster klemmt oder hat Zugluft und die Lampenfassungen sind nicht an 0,5qmm Kabel freitragend aufgehängt.

Während des Warten auf das Abendessen erzählt mir Shukra Bir, dass heute noch eine zweite Campinggruppe da ist, heute aber im Zimmer übernachtend. Sie machen die Dhaulagirirunde entgegen dem Uhrzeigersinn und in 10 Tagen! Beide sind wir der Meinung, ob die denn wahnsinnig sind, und Shukra Bir meint, dass das eine Billigagentur aus Kathmandu sei, die Leute wissen gar nicht, auf was sie sich da einlassen (z.B. von 2500m auf 5100m in 48 Stunden!).

Nachdem Abendessen frage ich unseren Koch Ram prasad, woher er denn wisse, dass ich aus Franken komme. Er schaut mich verdutzt an und ich gebe ihn zu verstehen, dass seine Apfelringe als Nachspeise (mit frischen Äpfeln vom Hotel) dem fränkischen Originalrezept und Geschmack verdammt Nahe kommt.

Im Anschluss sitzen wir, wie eigentlich an fast allen Tagen, noch in lockerer Runde zusammen. Heute stellt sich in der Runde die Frage: Was hätten wir gemacht, wenn wir oben am Pass den Weg nicht sofort gefunden hätten. Die Antwort dazu war bei uns allen einheitlich: dann hätten wir das Zelt aufgebaut, die Öfen angeheizt und gewartet bis es besser wird. Und jeder ist der Meinung, dass dies nur dann funktionieren kann, wenn keiner verloren geht und dessen war sich jeder bewusst. Was hilft das schönste Zelt, der beste Kocher, Essen für eine Woche, wenn der Mann mit dem Treibstoff abgeht. Ich sage in die Runde, dass, wenn ich am Berg abgegangen wäre, es dort oben wahrscheinlich das geringste Problem gewesen wäre. In Kathmandu angekommen wäre aber mein Fehlen dann das größte Übel. Ich spreche in die Runde: »Was hätte ich Euren Frauen, Eltern oder Kindern sagen sollen, wenn einer von Euch es nicht überlebt hätte, sicherlich nicht: “Äh war nicht so geplant, ist halt passiert, shit happens!”«

Tagesdaten: Start: Kagbeni (2850m ü.NN) - 7:30 Uhr, Ziel: Marpha (2670m ü.NN) - 14:15 Uhr, ↑336m, ↓463m

 

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