Am Nachmittag verlassen wir Dawson City in Richtung Osten, da wir heute noch weiterfahren wollen, Tagesziel sollen die Tombstone (planmäßig) oder die Ogilvie Mountains (wunschmäßig im Abstimmungsverhältnis 9:1, bei einer Enthaltung durch unsren Reiseleiter Uwe) am Dempster Highway sein.

Tja, hier ist dann der Nachteil einer Gruppenreise: Wenn auch nur Eine(r) nicht will, dann kann man nicht vom in der Reiseausschreibung zugesicherten Programm abweichen.

Zur dann doch noch einstimmigen Entscheidung war aber noch eine gehörige Portion Überzeugungsarbeit oder genaugenommen “Motivationsarbeit” notwendig. Es lag ja nicht auf dem Pochen zur Einhaltung der Reiseausschreibung, sondern es war ein ganz banales Motivationsproblem der betreffenden Person, auf einer Wildnisreise mehr als 20 Höhenmeter am Tag zu erwandern und das bei sündhaft teurer Gore-Tex XCR-Ausrüstung. Aber das sollte erst der Anfang dazu sein.

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Landschaft am südlichen Dempster Highway (etwa bei Kilometer 50)

Glücklicherweise geht die Fahrt heute nicht nur zum Campingplatz in den Tombstone Mountains bei Kilometer 72 auf dem Dempster Highway, sondern gleich weiter bis Kilometer 192 in die Ogilvie Mountains zum Campingplatz am Engineer Creek unterhalb des Sapper Hill. Mit dieser Änderung ist es möglich hier in den Ogilvie Mountains eine Tageswanderung durchzuführen, dafür entfällt aber eine Übernachtung jenseits des Polarkreises (wo wir nur zum Übernachten in den Richardson Mountains hinaufgefahren wären). Jetzt werden wir nur “kurz” die 300km zum Polarkreis hinauf und anschließend wieder zurück in die Tombstone Mountains fahren.

Der Dempster Highway selbst wird gerne als Kanadas Straße in den wirklichen Norden bezeichnet, er ist die einzige ganzjährig (das muss man relativ betrachten) befahrbare Straße, die über den Polarkreis hinausgeht. Sie führt nach Inuik und in den Wintermonaten weiter bis zur Eskimosiedlung Tuktoyaktuk. Angelegt wurde der Dempster Highway als Versorgungsstraße zu den Bodenschätze-Gebieten an der Beaufort See. Da aber dort zurzeit die Abbaukosten (noch) zu hoch sind, dient sie als reine Verbindungsstraße, zwar nur meterhoch geschottert, dafür aber typisch kanadisch in hervorragendem Zustand.

Wir befinden uns ja schon im letzten Drittel des Augusts und somit ist hier im Norden schon der Herbst voll bei seiner Arbeit. Wegen der Trockenheit erkennt man das sonst leuchtend rot blühende Fireweed am “Wegesrand” nur noch in rotbraunen Tönen, die hier aber tief stehende Sonne bietet eine Lichtstimmung wie bei uns sonst nur im schönsten goldenen Oktober.

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Dempster Highway am North Fork Pass mit Blick auf die Granitnadel des Tombstone Mountain (2193 m) im Abendlicht

Die höchste Erhebung auf dem Dempster ist der North Fork Pass mit fast 1400m Höhe. Durch die dunstfreie Luft ist heute eine herrliche Sicht (und vor 3 Wochen hatte unser Reiseleiter Uwe die Tour hier vorzeitig abbrechen müssen, da wegen des Rauchs kein Fortkommen mehr möglich war). So sieht man auch die Granitnadel des Tombstone Mountains ohne Wenn und Aber (siehe links) und das um 19.00 Uhr.

Gegen 20:30 Uhr erreichen wir unseren Zeltplatz unmittelbar neben dem Engineer Creek, umgeben vom majestätischen Sapper Hill.

Tag 8: Ogilvie Mountains - Mount Jeckell

Lapidar heißt es von Uwe, es sind etwa 1000 Höhenmeter zum Gipfel des Mount Jeckell zu überwinden und dann gäbe es eine geniale Fernsicht. Aber was ich nicht bedenke, es sind 1000 Höhenmeter in der Tundra und das ist etwas ganz anderes als 1000 Höhenmeter bei uns.

Der etwa 7km vom Campingplatz entfernte Trail beginnt unscheinbar als blaues Bändchen gekennzeichnet am Dempster Highway. Schon auf den ersten Metern wird mir jetzt bewusst, warum Elche so lange Beine haben (müssen). In der Tundra ist nichts eben, aber auch gar nichts. Man kann es als eine Ansammlung von mit Gras überwachsenen überdimensionalen Dampfnudeln (manchmal auch Germknödel genannt) betrachten. Also immer ein kleiner grasüberwachsener Haufen, ca. 0,5m-1m Durchmesser und in der Mitte meist 20cm höher wie am Rand. Aber wo ist denn nun der Rand überwachsen und wo ist einfach ein 50cm tiefes Loch? Diese Frage beschäftigt einem bei jedem Schritt (wenigstens auf den ersten 600 Höhenmetern).

Das der Permafrostboden immer ca. 10cm nachgibt, gehört zu seinen Eigenheiten, wo er aber dann 50cm und wo 2 Meter unterhalb der Oberfläche beginnt bleibt rätselhaft. So steigt man nun als zweibeinige Spinne über jedes Loch und jede Baumwurzel hinweg, hebt immer artig die Füße an und versucht sein Lebendgewicht die Höhenmeter hinaufzubringen, d.h., mit jedem Schritt müssen Knie und Oberschenkelmuskulatur aus einem 90°-Winkel wieder auf 180° gestreckt werden, bei voller Belastung.

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Ogilvie Mountains, Aufstieg zum Mount Jeckell

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Ogilvie Mountains, Aufstieg zum Mount Jeckell

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Ogilvie Mountains, Felskanten am Mount Jeckell

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Ogilvie Mountains, Felskanten am Mount Jeckell

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Rast am Mount Jeckell

Aber auch diese Tortour ist irgendwann vorbei (sogar ohne Murren unserer Motivationskanone).

Der zweite Teil des Trails verläuft nicht mehr im Wald (100-jährige Bäume können hier bedenkenlos als Bonsai-Bäume verkauft werden) sondern entlang des Berggrats, meist den kalten Winden ausgeliefert. In Patagonien hätte ich zu solchen Winden noch Föhn gesagt.

Die Aussicht auf die unberührte Umgebung, ungestört von irgendwelchen Touristen, ist überwältigend. In der Ferne erkennt man schon die ersten Schneefälle, zuerst war der Berg grau und Minuten danach in Puderzucker gehüllt.

Aber 150m vor dem Ziel kommt, was kommen musste, einer gibt wegen Motivationsproblemen (keine Lust mehr noch mehr Höhenmeter wieder heruntergehen zu müssen) auf und will nicht mehr weiter (und es ist nicht einmal unsere Motivationskanone -später von uns “Burgfräulein” genannt- da hätten wir es ja noch vermutet).

Da wir uns im Bärengebiet befinden, darf ein Tourguide seine Truppe nicht aufteilen, d.h., mit dem Gipfelblick wird nichts, obwohl ich schon jetzt erahnen kann, mit welch grandiosem Ausblick ich für meine Mühen entschädigt werden würde. Wer weiter will, der muss dies auf eigene Gefahr tun, den aber daraus resultierenden Unterschied zwischen Unfall- und Haftpflichtversicherung im Schadensfall will ich aber nicht austesten.

Haben wir beim Aufstieg noch Wolken behangenen Himmel vorgefunden, so können wir den Rückweg bei herrlichem Sonnenschein und an windgeschützten Stellen auch bei warmen Temperaturen antreten. Eine wunderschöne Tageswanderung geht ihrem Ende entgegen.

Der Versuch, hier im Norden die ersten Nordlichter zu erblicken (nicht die am Boden aus Südschweden, sondern das Aurora Borealis am Himmel) ist aber heute noch nicht von Erfolg gekrönt. Erst einige Tage später in Carmacks erleben wir die ersten Nordlichter.

Tag 9: Dempster Highway, Polarkreis

Aufgrund der von uns gewünschten Routenänderung dürfen heute viele Schotterpistenkilometer auf dem Ar... abgesessen werden. Die Strecke führt uns weiter nach Norden, etwa 50km von unserem Campground entfernt erkennen wir in der Tundra eine gerade verlaufende Schneise im Wald. Entlang dieser Schneisen wurde in den 60-er und 70-er Jahren Explosionen ausgelöst, um herausfinden zu können, welche und wie große Vorkommen an Bodenschätzen es hier gibt.

Einige Kilometer nördlich davon liegt der Ogilvie-Peel Viewpoint, der einen weiten Einblick in das Tal des Peel Rivers und die Ogilvie Mountains bietet. Es scheint zwar die Sonne am stark wolkenverhangenen Himmel, für vernünftige Aufnahmen ist aber das Gegenlicht störend.

So geht es nun weiter auf dem Dempster, wieder Erwarten sogar mit Verkehr (mindestens 10 Fahrzeuge in der Stunde, soviel gibt’s am Paso Sico in Argentinien gerade mal in der Woche).

Mit dem Rasthaus am Eagle Plains Hotel nähern wir uns wieder der ersten menschlichen Ansiedlung, wenn man mal von den 2 Campingplätzen und den 3 Straßenbaumeistereien bis hierher am Highway absieht.

Je weiter wir nach Norden kommen, desto niedriger werden die Bäume, aber von dem, was man landläufig als Tundra bezeichnet, ist weit und breit nichts zu sehen, denn überall gibt es noch Bäume. Hier sind sie aber nach Hunderten von Jahren gerade einmal so hoch, dass sie als Baumschulzöglinge für Bonsaibäume herhalten könnten.

20km nördlich vom Eagle Plains Hotel lässt sich auch der erste Elch auf dem Dempster Highway blicken, aber schön im Unterholz versteckt.

Bei Kilometer 403 ist der Polarkreis erreicht, an dem Breitengrad, wo an einem Tag die Sonne nicht unter (Sommeranfang) und an einem Tag die Sonne nicht aufgeht (Winteranfang). Das zugehörige Denkmal steht an einer Anhöhe mit herrlichem Ausblick auf die Richardson Mountains im Norden. Dort sind auch ergiebige Schneefälle zu erkennen und bei uns ist klarster Sonnenschein bei Windstärke 8. Zwischendrin ist “Tundranatur” in ihren schönsten Farben.

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Dempster Highway, Kilometer 403, am Polarkreis 66°33’ Nord

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Dempster Highway, Kilometer 403, Blick auf die im Schneefall gehüllten Richardson Mountains, Natur in ihren schönsten Farben

Normal wären wir von hier aus noch 50km weiter und hätten in den Richardson Mountains übernachtet, wir haben aber beschlossen, gleich wieder zurück in Richtung Tombstone Mountains zu fahren.

Einen Zwischenhalt legen wir am Eagle Plains Hotel ein, zur duftmäßigen Generalinstandsetzung, denn in den letzten 4 Tagen gab es keine wirkliche Duschmöglichkeit mit Temperaturen oberhalb der Gefriergrenze.

Im Panoramarestaurant sind Bilder von der Lost Patrol und von der Suche nach dem Mad Trapper ausgestellt, der am Silvesterabend 1931 einen Mountie (kanadischen Polizisten) erschossen hatte.

Da dies der erste Fall in der Geschichte Kanadas war, war die Auswirkung damals gewaltig, 48 Tage lang wurde er hier im weitläufigen Norden gesucht, erstmals auch mit einem Flugzeug. Hollywood widmete mit Charles Bronson als “Mad Trapper” der Sache ein Leinwandepos.

Von Eagle Plains sind in der Ferne große Buschfeuer erkennbar, da die Sicht bei wolkenlosem Himmel sehr weit geht. Vorsichtig sollte man sein, wenn man sich hier Wald mit 100-jährigem Baumbestand andrehen lässt (siehe Bild rechts).

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Dempster Highway, Kilometer 350, Tundra und Buschfeuer in der Nähe von Eagle Plains

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Dempster Highway, Wapiti-Hirsche

Unterbrochen von einigen Fotostopps erreichen wir den Tombstone Campground in der Nähe des North Folk Passes am späteren Nachmittag (das ist hier etwa 19 Uhr), wo wir die nächsten beiden Nächte unsere Zelte aufstellen werden.

Der Zeltplatz selbst ist heute fest in deutscher Hand, denn von Wikinger und Diamir ist auch eine Truppe da, sodass es beim Kochen und Essen etwas eng zugeht, denn die Kochgelegenheiten sind begrenzt.

Tag 10: Mount Monolith, Tombstone Mountains

Heute steht unsere zweite Tageswanderung an, vom südlich gelegenen Grizzly Creek aus wollen wir zum Aussichtspunkt mit Blick auf den 2362m hohen Mount Monolith in Angriff nehmen. Es sind zwar nur 650 Höhenmeter, aber was unsere Motivationskünstler wieder für Anschläge in der Hinterhand haben, haben sie uns noch nicht verraten.

Der gekennzeichnete Trails startet auf den ersten Kilometer im Wald, gesäumt von den ersten Tierlosungen. Da Elche in Kanada Moose heißen, sollte man vorsichtig sein, wenn einem in der Tundra “Moose au chocolate” angeboten wird, das kann dann eine ziemlich besch...eidene Angelegenheit werden.

Weiter führt uns die Strecke durch Beerenhecken, Beeren (nicht Bären) in jeglichen Ausführungen und das auch noch in reifem Zustand (Brombeeren, Hagebutten, Heidelbeeren, Preiselbeeren, usw.), für den kleinen Hunger zwischendurch ist ausgesorgt.

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Tombstone Mountains, Grizzly Bear Lake Trail

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Tombstone Mountains, Grizzly Bear Lake Trail

Wieder am Berggrat entlang windet sich der Trail gipfelwärts, heute bei angenehmen Temperaturen um die 20°C. So erreichen wir nach gut 3 1/2 Stunden den ersten Zwischengipfel, den wir als Endstation nutzen. Von hier aus sollte einem sich auch ein Blick auf den Mount Monolith und dem Grizzly Bear Lake am Fuße des Berges bieten, die heutigen Wolken sind da aber anderer Meinung. So ergibt sich nur ein ganz kurzer Blick auf den Mount Monolith, den See kann man nur erahnen.

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Tombstone Mountains,, Mount Monolith

Tja, normalerweise ist es für mich immer die angenehmere Angelegenheit, einen Berg herabzugehen, da ich nie Probleme mit den Knien wie viele andere habe, aber es gibt ja auch noch andere Reiseindividuen:.

Wie bringt man nun jemanden den Berg runter, der einfach keine Lust mehr dazu hat (mit einem Gesichtsausdruck, als müsste man jeden Augenblick mit einem selbstmörderischen Sprung über die Felsen rechnen).

Das jemand keinen Bock hat einen Berg hinaufzugehen kann ich ja noch nachvollziehen, aber das der Abstieg auf relativ guten Trampelpfaden zu Motivationsproblemen führt. Wenn das bei der Kanutour in den nächsten Tagen so weitergeht, das kann ja heiter werden. Und damit ist auch schon gesagt, was in den nächsten Tagen an der Tagesordnung sein wird.

Tag 11: Tombstone Mounains - Carmacks

Der heutige Tag dient zur Anreise zu unserer 3-tägigen Kanutour auf dem Yukon nach Carmacks, wobei wir uns noch “schnell” in Dawson City mit Lebensmitteln eindecken werden. Da es etwas ungeschickt ist, stromaufwärts zu paddeln, starten wir in Carmacks und enden in Minto (und nicht umgekehrt).

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Five Finger Rapids vom Aussichtspunkt am Kondike Loop Highway

 Heute bin ich wieder mit dem Kochen dran, unser Theo, mein Kochtruppkollege und Schlagmann auf dem Kanu in den nächsten Tagen kümmert sich wie jeden Tag ums Feuerholz (am Dempster hatte er aus Übereifer schon fast die Zeltstangen der Ranger verfeuert).

Nachdem sich alle mit meinen Käsespätzle den Magen vollgeschlagen haben (erstmals wurde alles aufgegessen und das bei 2 Kg Nudeln und 2 Kg Käse, 600g Schinken und 3 Dosen Champignons) und 11 Personen, lassen wir den Abend an unserem Zeltplatz bei Carmacks direkt am Yukon mit ein paar Bierchen ausklingen. So vergehen die Stunden am Lagerfeuer.

Als ich so gehen 1 Uhr nachts auf den Himmel hinauf blicke, denke ich mir, die Wolke schaut doch etwas komisch aus. Als sie aber beginnt, sich wie eine Schlange zu bewegen, steht fest, das sind die ersten Polarlichter, die wir heute sehen und das bei fast Vollmond.

Sind die ersten Erscheinungen noch weiß, so lassen sich die nächsten Polarlichter es sich nicht nehmen, auch andere Farben wie rot und grünlich zu benutzen. Zum Fotografieren ohne Stativ ist es zu dunkel, das habe ich aber erst beim Entwickeln der Filme feststellen dürfen. Zunächst haben sich der Film und anschließend ich mich darüber im wahrsten Sinne des Wortes schwarz geärgert.

 

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